Treffen mit Betriebsratsmitgliedern von Amazon Brieselang
Zwei Tage nach der Bundestagswahl habe ich mich gemeinsam mit der Landesgeschäftsführerin der LINKEN Brandenburg, Anja Mayer, mit zwei Betriebsratsmitgliedern von Amazon Brieselang getroffen. Leider schaffe ich es erst jetzt, diesen Beitrag zu schreiben, die vergangenen Wochen waren doch arg stressig… Aber besser spät als nie 😉
Nach meinem Besuch bei Amazon, von dem ich hier berichtet habe, wollte ich mir die Sicht des Betriebsrats anhören, da bei mir einige Fragen offen geblieben waren. Es ist hinglänglich bekannt, dass es an Amazon Kritik gibt und ich wollte wissen, wie der Betriebsrat bei der Durchsetzung der Arbeitnehmer*innenrechte, guter, faierer Entlohnung, besserer Arbeitsbedingungen und dem Kampf gegen Befristungen unterstützt werden kann.
Die beiden Betriebsräte berichteten uns sehr offen über ihre Probleme bei der Betriebsratsarbeit. Da viele kritische Anmerkungen gemacht wurden, die ich mit Zustimmung der beiden hier im Blog thematisiere, veröffentliche ich ihre Namen hier nicht. Nicht alle unten stehenden Informationen stammen von den beiden Gesprächspartnern. Ich habe in den Tagen danach einige weitere Gespräche mit Mitarbeitern und ehemaligen Mitarbeitern von Amazon geführt, um ein klareres Bild zu bekommen. In jedem Fall war das Gespräch sehr wichtig und wir haben verabredet, in Kontakt zu bleiben.
Aktuell stellt sich mir die Situation bei Amazon Brieselang wie folgt dar:
Bereits nach meinem Betriebsbesuch hatte ich geschrieben, dass eines der größten Probleme die Befristungen sind. Dass im Weihnachtsgeschäft Saisonkräfte eingestellt werden, ist sicher nicht vermeidbar. Vermeidbar wäre aber, auch einen Teil der „Stammbelegschaft“ befristet zu beschäftigen. Bei meinem Besuch war mir erzählt worden, dass ca. 40% der Beschäftigten im „Normalbetrieb“ befristet beschäftigt sind. Die Belegschaft im 1. Halbjahr umfasst ca. 500 Beschäftigte (es waren aber auch schon mal deutlich mehr), so dass man davon ausgehen kann, dass nur ca. 300 Personen einen unbefristeten Vertrag haben. Im 2. Halbjahr werden dann weitere Kräfte eingestellt, ca. 400 bis 500 Personen zusätzlich sind es im 4. Quartal des Jahres. Alle befristet Beschäftigten erhalten grundsätzlich Verträge, die am 31.12. eines jeden Jahres auslaufen. Die Verlängerungen werden nach einem intransparenten Verfahren beschlossen, das auf einem Punktesystem mit Komponenten aus Qualität, Produktivität, Einsatzbereitschaft, Verhalten und Krankheitsquote basiert. Soziale Kriterien spielen keine Rolle und vor allem die Komponenten Einsatzbereitschaft und Verhalten machen es anfällig für Willkür. Das bedeutet praktisch – das ist mir von mehreren Seiten bestätigt worden -, dass diejenigen, die auch mal Kritik äußern, in der Regel im Januar nicht mehr da sind. Auch ältere Mitarbeiter*innen, Gewerkschafter*innen und diejenigen, die zeitlich nicht immer flexibel sind, haben wenig Chancen auf die Verlängerung ihres Vertrags. Da auch diejenigen, die schon im 1. Halbjahr beschäftigt waren, von dieser Entlassungswelle am Ende eines jeden Jahres nicht grundsätzlich verschont werden, sind Existenzängste faktisch immer vorhanden. Hinzu kommt: Das Teilzeit- und Befristungsgesetz sieht nicht vor, dass Arbeitnehmer*innen länger als zwei Jahre sachgrundlos befristet beschäftigt werden können. Da Amazon aber kaum Entfristungen ausspricht, ist für die meisten eh nach spätestens zwei Jahren Schluss.
Das alles führt dazu, dass im Unternehmen ständige Angst herrscht, die Organisationsquote in der Gewerkschaft niedrig und der Drang, gemeinsam seine Rechte durchzusetzen, unterdurchschnittlich ausgeprägt ist. Auch Betriebsratsmitglieder, die befristet beschäftigt sind, sind nicht davor gefeit, dass ihr Vertrag nicht verlängert wird. Im Gegenteil. Und so ist es schwierig, Kandidat*innen für die Gewerkschaftsliste zu den Betriebsratswahlen zu finden und eine gewisse Tendenz zu einem der Betriebsleitung wenig kritisch gegenüberstehenden Betriebsrat gibt es auch.
Die Befristungspolitik führt aber auch dazu, dass bereits ca. 6.500 Personen seit der Eröffnung 2013 durch die Amazon-Filiale gegangen sind (inkl. der aktuell Beschäftigten). Das bedeutet auch, dass in der Region kaum noch Personal zu finden ist, zumal sich die Mieten in der Region so heftig nach oben entwickeln, dass Menschen mit geringem EInkommen verdrängt werden. Deshalb chartert Amazon bereits seit einiger Zeit täglich einen Bus, der Mitarbeiter*innen aus Rathenow hin und her fährt. Aktuell wird wohl erwogen, die Arbeiter*innen von och weiter her mit Bussen heran zu holen. Ich gebe zu, dass ich diese Unternehmenspolitik einfach nicht verstehe. Wenn man täglich für viel Geld Mitarbeiter über eine Stunde oder länger mit einem vom Unternehmen bezahlten Bus heran holen muss, könnte man die Leute auch entfristen und/oder sie besser bezahlen. Dann hätte man dauerhaft gesicherte Arbeitsplätze mit zufriedeneren Mitarbeiter*innen. Ok, vielleicht hätten sie weniger Angst, Missstände zu thematisieren. Aber ansonsten wäre das eine wesentlich sinnvollere Unternehmenspolitik.
Aber zur Bezahlung: Es gibt ein Lohnsystem, das sich aus mehreren Komponenten zusammen setzt. Einsteiger verdienen ca. 10,55€ pro Stunde, nach einem Jahr erhöht sich dies auf 11,55€ und nach zwei Jahren auf 12,35€. Das heißt, diejenigen, die nur befristet beschäftigt sind, verdienen auch noch weniger. Diese Lohnhöhe beinhaltet eine Regionalkomponente, wo sich Amazon an den in der Region üblicherweise gezahlten Löhnen orientiert. In Brieselang verdient man deshalb weniger als an anderen Standorten in Deutschland.
Außerdem gibt es ein Bonussystem, das allerdings an die Gruppenleistung gekoppelt ist. Das bedeutet, dass (willkürlich) Gruppen zusammengestellt werden und deren Gesamtleistung inkl. Krankenquote herangezogen wird, um zu entscheiden, ob ein Bonus gezahlt wird oder nicht. Das kann man wohl auch als Erzeugung von Druck (in dem Fall Gruppendruck) deuten.
Die Mitarbeiter arbeiten in Schichtsystemen, in der Regel zwei Wochen früh, zwei Wochen spät, dann wieder zwei Wochen früh usw. Für Alleinerziehende gibt es die Möglichkeit zu anderen Schichtmodellen. Es gibt wohl deutschlandweit aktuell die Bestrebung, ein Modell mit Nachtschichten und auch Dauernachtschichten (also quasi immer Nachtarbeit) einzuführen. Ob dies auch in Briedelang droht, ist bislang unklar.
Das ist das Bild, das sich mir aktuell zeichnet. Ich habe dem Arbeitskreis Soziales meiner Landtagsfraktion vorgeschalgen, dass wir uns um einen Besuch bei Amazon bemühen, wo wir mit der Betriebsleitung über die Probleme, die ich hier aufgezeigt habe, reden. Ob das etwas für die Mitarbeiter*innen bringt, weiß ich nicht. Wir müssen es aber versuchen. Zumal – wie oben aufgezeigt – das Unternehmen Gefahr läuft, nicht mehr genügend Mitarbeiter*innen zu finden bzw. diese von immer weiter her anfahren zu müssen. Auf jeden Fall werden wir deutlich machen, dass wir die Probleme sehen und uns nicht scheuen, diese öffentlich zu thematisieren und die Mitarbeiter*innen im Kampf gegen diese prekarisierten Rahmenbedingungen und für die Durchsetzung von Arbeitnehmer*innenrechten zu unterstützen.