Rede zu den Anträgen von AfD und CDU zu unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen
In der heutigen Landtagssitzung lagen zwei Anträge zum Umgang mit unbegleteten minderjährigen Flüchtlingen vor. Zu Antrag der AfD geht es hier und zum Antrag der CDU hier.
Ich habe für LINKE und SPD geredet und hatte deshalb mehr Zeit als regulär. Das war ganz gut, weil ich dadurch zu beide Anträgen ausführlich argumentieren konte. Das Redeskript dokuentiere ich hier:
„Uns liegen zwei Anträge vor, die sich damit beschäftigen, die Altersfeststellung bei unbegleiteten Minderjährigen neu zu regeln. In beiden wird der Eindruck erweckt, es gäbe aktuell massenhaft Fälle, wo Geflüchtete über ihr Alter täuschen. Einen Nachweis dazu bleiben beide Antragsteller schuldig.
Beginnen wir mal mit der aktuellen Rechtslage. Kommt eine ausländische Person nach Deutschland und gibt an, minderjährig und ohne Begleitung eines Erziehungsberechtigten eingereist zu sein, so wird sie vom zuständigen Jugendamt in Obhut genommen. Nach der vorläufigen Inobhutnahme hat das Amt unter anderem eine Altersfeststellung vorzunehmen. Diese soll vorrangig durch Einsichtnahme in Identitätsdokumente und eine qualifizierte Inaugenscheinnahme pädagogisch geschulter Fachkräfte erfolgen. In Zweifelsfällen kann zusätzlich eine ärztliche Untersuchung vorgenommen werden. Und: Bestehen dann immer noch Zweifel, ist von einer Minderjährigkeit auszugehen.
Diese aktuelle Rechtslage entspricht den Vorgaben der UN-Kinderrechtskonvention und der EU-Aufnahmerichtlinie.
Die AfD-Fraktion will diese Rechtslage nun dahingehend ändern, dass, wenn keine Dokumente zur Identität vorgelegt werden oder trotz vorgelegten Dokumenten Zweifel am angegebenen Alter bestehen, zwingend eine medizinische Untersuchung zu erfolgen hat. Dieser Antrag würde bedeuten, dass selbst wenn nicht der geringste Zweifel an der Minderjährigkeit besteht, eine medizinische Altersfeststellung erfolgen müsste. Also auch ein Fünfjähriger müsste sich dieser Prozedur mit den von der AfD vorgeschlagenen Methoden unterziehen.
Strittig ist seit Jahren die Frage, mit welchen Methoden die medizinische Altersfeststellung erfolgen soll. Dabei sind sich seriöse Experten wie bspw. die Bundesärztekammer, die Kinder- und Jugendpsychiatrischen Fachverbände und das Deutsche Kinderhilfswerk in einem einig: Die Altersfeststellung kann immer nur eine grobe Schätzung sein. Es gibt kein Verfahren der Altersfeststellung, wodurch am Ende das Geburtsdatum des Kindes oder Jugendlichen zweifelsfrei feststeht
Kein medizinisches Verfahren ist frei von Fehlern und Unschärfen. Und sie greifen teilweise in die körperliche Unversehrtheit ein. Die Altersfeststellung durch Röntgen der Handwurzelknochen oder des Schlüsselbeins ist nicht nur hochgradig ungenau – Abweichungen bis zu zwei Jahren sind möglich – sie ist nach Auffassung des Präsidents der Bundesärztekammer, Herr Montgomery, auch ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit, wenn sie ohne medizinische Indikation erfolgt.
Die AfD geht aber noch einen Schritt weiter. Neben dem Zahnstatus und möglichen Röntgenuntersuchungen wird eine Ganzkörperuntersuchung mit Erfassung anthropologischer Maße, möglicher alterungsrelevanter Entwicklungsstörungen und der sexuellen Reifezeichen vorgeschlagen. Unabhängig davon, dass keines dieser Verfahren eine exakte Altersfeststellung ermöglicht, stellt vor allem die Erfassung der sexuellen Reifezeichen ein Verfahren dar, das von uns abgelehnt wird. Das wurde in Hamburg bis zum Jahr 2015 tatsächlich praktiziert, weil man glaubte, durch die Beschau des Genitals und das Betasten der weiblichen Brust das exakte Alter feststellen zu können.
Die Bundesregierung stellte in ihrer Stellungnahme zur Begründung des Umverteilungsgesetzes klar, dass dies in Zukunft ausgeschlossen sein soll und auch die Bundesärztekammer wehrt sich dagegen, dass Penis oder Brust betastet werden, um festzustellen, wie alt jemand ist.
Der zweite vorliegende Antrag hat mich erst etwas verwundert und dann geärgert. Der Antrag der CDU greift das Thema der AfD auf, biegt dann aber ganz scharf ab, um die AfD rechts zu überholen. Hier sollen unbegleitete Minderjährige nicht mehr von den Jugendämtern vorläufig Inobhut genommen werden, sondern sie sollen in einer zentralen Aufnahmeeinrichtung aufgenommen werden und dort soll auch die Identitäts- und Altersfeststellung erfolgen. Auch die bereits mehrmals diskutierte Aufnahme- Entscheidungs- und Rückführungseinrichtung und natürlich auch die Verlängerung des Aufenthalts in der Erstaufnahme auf 24 Monate, die übrigens rein gar nichts mit dem Thema unbegleitete minderjährige Flüchtlinge zu tun haben, dürfen nicht fehlen.
Und: Nebenbei wird auch noch der Grundsatz, „im Zweifel minderjährig“, aufgehoben. Ich erwähne hier nur kurz, dass dies der UN-Kinderrechtskonvention und der EU-Aufnahmerichtlinie widerspricht und stelle fest, dass der CDU in Brandenburg – zu meinem großen Bedauern – offensichtlich der humanitäre Kompass abhandengekommen ist.
Sie, meine Damen und Herren von der CDU, opfern aber mehr als ihr Gewissen dem kurzfristigen politischen Erfolg. Sie nehmen in Kauf, dass die AfD sich dafür feiern kann, den Ende 2015 gefundenen gemeinsamen Konsens dieses Landtages zum Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten aufgebrochen zu haben. Damals waren wir uns einig – es war ein Entschließungsantrag zum Ausführungsgesetz des SGB VIII, und ich erinnere daran: dieses Gesetz wie auch den Entschließungsantrag haben die Fraktionen von SPD, LINKEN, Grünen und CDU gemeinsam eingebracht –
Fraktionsübergreifend war das Kindeswohl das Primat unseres Agierens. Ich zitiere aus dem Beschluss:
„ Der Landtag bekennt sich zu einer Willkommenskultur gerade für geflüchtete unbegleitete Kinder und Jugendliche. Für sie gelten aufgrund ihres Schutzbedürfnisses besondere Maßstäbe bei der Aufnahme und Integration in unser Land. Diesen jungen Menschen bei uns eine Heimat zu bieten und ihnen trotz ihrer – zum Teil traumatischen -Erlebnisse ein kind-und jugendgerechtes Aufwachsen zu ermöglichen, ist erklärtes Ziel des Landtages. Der Landtag ruft daher die Landesregierung, die Landkreise und kreisfreien Städte, die freien Träger der Jugendhilfe sowie die vielen ehren-und hauptamtlich Engagierten in diesem Land auf, die bestmöglichen Bedingungen für die minderjährigen Flüchtlinge zu schaffen.“
Darüber hinaus forderten wir die Landesregierung auf:
„-sich auf Bundesebene dafür einzusetzen, gemeinsame Standards und Verfahren zu entwickeln, wie im Rahmen der Altersfeststellung auch in Zweifelsfällen das Kindeswohl im Vordergrund steht.“
Meine Damen und Herren, die Position der Koalition zu diesen Fragen hat sich nicht geändert. Unser Primat ist und bleibt das Kindeswohl. Wir lehnen beide Anträge ab.“