Grundrechte gelten für alle gleich! – Anmerkungen zur Debatte um racial profiling und die Ereignisse der Silvesternacht in Köln

Grundrechte gelten für alle gleich! – Anmerkungen zur Debatte um racial profiling und die Ereignisse der Silvesternacht in Köln

Schon im vergangenen Jahr hatte ich mich ein paar Tage nach den Ereignissen der Silvesternacht hier im Blog zu Wort gemeldet. In diesem Jahr habe ich lange darüber nachgedacht, ob ich das erneut tue. Nachdem ich mir ein paar Tage die aufgeheizte Debatte angeschaut habe, will ich zumindest einige Anmerkungen zu den Ereignissen und der darauffolgenden öffentlichen Diskussion machen.

 

Wenn es am Silvesterabend 2016 eine professionelle Kommunikation auf Seiten der Polizei in Köln gegeben hätte, hätten wir in Deutschland eine Debatte weniger. Eine Debatte, die völlig aus dem Ruder gelaufen ist, die auf allen Seiten mit Emotionalität geführt wird und die geeignet ist, die Gesellschaft weiter zu spalten. Zumal die Debatte aus meiner Sicht in weiten Teilen am Thema vorbei geht.

Ja, mindestens dem Menschen, der dort getwittert hat, und dem nicht aufgefallen ist, dass ein solcher Tweet in einer solchen Situation, in der das Auge der Öffentlichkeit auf der Kölner Polizei lag, das auslösen muss, was er ausgelöst hat, ist weder Professionalität noch irgendeine Form von Empathie und Verantwortungsbewusstsein zu bescheinigen. Und ja, aus diesem Tweet spricht Rassismus.  Wir wissen seit langem, dass Polizei, ebenso wie jeder andere Teil der Gesellschaft und ihrer Institutionen, nicht frei von Rassismus ist. Nur fängt der viel früher an.  Jeden Tag können wir alle ihn beobachten im Alltag, in den Medien, in der Politik und auch in den staatlichen Institutionen. An dieser Stelle, aus diesem Tweet, ist er ein weiteres Mal besonders deutlich geworden. Und doch frage ich mich, wer von all denen, die das anprangern, die sich jetzt in den sozialen Medien empören, im Alltag diesem Rassismus entgegen tritt.

Da wird debattiert, ob man „Nafri“ als Abkürzung für „nordafrikanische Intensivtäter“ oder auch „Nordafrikaner“ verwenden darf. Nein, natürlich geht das nicht! Schon gar nicht mit einem offiziellen Polizeiaccount! Aber: Was allerdings wäre eigentlich passiert, hätte es diesen Tweet der Kölner Polizei nicht gegeben? Vermutlich nichts oder nicht allzuviel! Vielleicht hätte es danach ein kleines parlamentarisches Nachspiel gegeben, aber wäre das wahrgenommen worden?

Da wird emotional gestritten, ob die Taktik der Polizei bei diesem Einsatz richtig war oder nicht. Allerdings verläuft dieser Streit nicht etwa anhand von Tatsachen – auf die wichtigsten Fragen, bspw. welche Erkenntnisse die Polizei tatsächlich hatte, welches Lagebild sich daraus ergab und welche Einsatztaktik daraufhin tatsächlich gefahren wurde, gibt es noch gar keine gesicherten Erkenntnisse. Nach und nach sickern immer neue Informationen durch. Und mittlerweile erhärtet sich der Verdacht, dass es am Silvesterabend tatsächlich zu racial profiling seitens der Polizei gekommen ist.

Heftig ist auch der Diskurs, ob der Einsatz insgesamt gut gelaufen ist oder nicht. Da scheint es in der öffentlichen Debatte nicht viel mehr als schwarz und weiß zu geben. Zwischen „hat ja funktioniert also war es erfolgreich“ und „mag ja sein, aber mit racial profiling geht es nunmal nicht und deshalb war es falsch“, sind kaum Zwischentöne zu hören. Und wenn doch, dann werden sie schnell niedergeschrien oder besser in den sozialen Medien niedergeschrieben. Offene Fragen? Aber nein doch. Die Bewertung steht fest (und zwar auf allen Seiten), ein grau gibt es bei dem ganzen schwarz und weiß nicht.

Dabei wäre genau das angebracht.  Ein Jahr lang hatte die Kölner Polizei Zeit, sich auf diesen Abend vorzubereiten. Der Druck war groß, dass sich keinesfalls wiederholen darf, was im vergangenen Jahr stattgefunden hat: sexuelle Belästigungen und Vergewaltigungen von Frauen aus Männergruppen heraus, die sich scheinbar genau dazu verabredet hatten. Die Polizei in Köln stand also unter einem extrem großen Druck und es war klar, dass sie durch massive Präsenz und eine gute Vorbereitung alles tun muss, um solche Straftaten zu verhindern. Wir müssen nüchtern feststellen: Das ist gelungen. Und das ist erst einmal gut.

Durch den Tweet der Polizei wurde jedoch auch öffentlich, dass dies mit massiven Personenkontrollen vor allem von Menschen mit Migrationshintergrund einherging, und alles, was wir bisher wissen, deutet darauf hin, dass vor allem Männer, die irgendwie „nicht deutsch“ aussahen, kontrolliert und an der Teilnahme an der Feier gehindert wurden. Wenn Berichte von Journalisten stimmen, dass alle, die irgendwie „deutsch“ aussahen, durchgewunken wurden, während sich alle anderen Personenkontrollen unterziehen mussten, dann stellt sich mir die Frage, auf Grundlage welchen Lagebilds dies stattfand. Es gab ja vorab Ermittlungen in den sozialen Netzwerken und auch durch Zivilbeamte in den Zügen. Gab es hier wirklich Erkenntnisse, dass sich Gruppen von Männern, die aus Nordafrika stammen, zu Straftaten verabredet haben? Die Polizei schweigt sich dazu bisher aus. Ohne das Lagebild, das dem Einsatz zugrunde lag, ist eine Einschätzung, was wirklich passiert ist und ob das Handeln vor diesem Hintergrund gerechtfertigt war oder nicht bzw. ob es verhältnismäßig war oder nicht jedoch schwierig.

Gleichzeitig glaube ich, dass in der aufgeheizten öffentlichen Debatte nach dem Anschlag in Berlin, der Komplexität der Lage und aufgrund des hohen öffentlichen Druck auf die Kölner Polizei, die Ereignisse in Köln als Extrembeispiel nur schlecht geeignet sind, die dringend notwendige Debatte um racial profiling zu führen.

Racial profiling ist viel banaler, als es sich hier darstellt. Es findet täglich im Kleinen statt und ist für die Betroffenen viel stärker belastend als ein solches Großereignis. Wenn nun in der Debatte Menschen mit Migrationshintergrund berichten, dass sie regelmäßig durch die Polizei kontrolliert werden, wenn sie einkaufen gehen, mit Freunden unterwegs sind oder im Zug sitzen. Wenn sie erzählen, wie sie als einzige aus einer Gruppe aufgefordert werde, sich auszuweisen. Wenn sie berichten, wie sehr durch eine solche Praxis ihr persönliches Vertrauen in die Sicherheitsorgane schwindet, dann wissen wir, dass wir eine gesellschaftliche Debatte genau dazu brauchen! Unaufgeregt und sachlich. Und vor allem entlang der Regeln, die wir uns als Gesellschaft gegeben haben! Und das ist nun mal unser Grundgesetz und das sind die Grundrechte.

Grundrechte sind Abwehrrechte gegen den Staat. Sie schützen die Bürgerinnen und Bürger vor einem allmächtigen, alleswissenden Staat. Selbstverständlich kann Strafverfolgung und Verbrechensbekämpfung vereinfacht werden, indem man dem Staat mehr Befugnisse gibt. Das geht dann allerdings auch zwingend mit einem Freiheitsverlust einher. Die Erkenntnis, dass der Staat nicht nur die Bürgerinnen und Bürger zu schützen hat sondern diese auch vor Eingriffen durch ihn geschützt werden müssen, ist eine zutiefst emanzipatorische. Wir tun gut daran, dies zu verteidigen!

Die Grundrechte haben aber noch eine andere Dimension: Sie gelten für alle gleich. Und da sind wir beim Kernproblem des racial profiling. Grundrechte verteidigen heißt, sie für alle zu verteidigen. Und das gilt noch einmal mehr für benachteiligte Gruppen, die sich nicht immer selbst ausreichend Gehör verschaffen können. Wenn Gruppen in dieser Gesellschaft pauschal unter einen Generalverdacht gestellt werden, wenn der Staat oder staatliches Handeln sie anders behandelt, als andere Gruppen und das nur wegen ihrer Herkunft, dann verlässt der Staat die Vereinbarung, die wir Bürgerinnen und Bürger mit ihm haben – die Vereinbarung, dass Grundrechte für alle gleich gelten und alle gleich vor den Eingriffen des Staates geschützt werden müssen.

Und genau deshalb brauchen wir die gesellschaftliche Debatte um racial profiling und auch um institutionellen Rassismus und Diskriminierung. Staatliche Institutionen sind natürlich von gesellschaftlichen Entwicklungen beeinflusst und ein tief sitzender Rassismus in Teilen der Gesellschaft wird schon deshalb nicht vor staatlichem Handeln Halt machen. Deshalb ist es richtig, im Alltag rassistischen Positionen entgegen zu treten. Und es ist auch richtig, durch politisches Handeln das Signal zu setzen: Institutioneller Rassismus ist politisch nicht gewollt. Das kann in Form von gesetzlichen Regelungen zum Schutz vor Diskriminierung ebenso stattfinden wie durch Maßnahmen zur interkulturellen Kompetenz von Verwaltungen, Handlungsanweisungen an Beschäftigte im öffentlichen Dienst oder auch die Stärkung von Opferorganisationen und -beratungsstellen. Und in dem Zusammenhang muss dann auch darüber geredet werden, wie notwendiges Profiling bei den Sicherheitsorganen, das immer stattfindet, diskriminierungsfrei geschehen kann.

 

Die Ereignisse der Silvesternacht haben aber noch eine zweite Dimension, die aus meiner Sicht in der aktuellen Debatte zu kurz kommt: Mich hat schon im vergangenen Jahr massiv gestört, dass sexualisierte Gewalt gegen Frauen immer dann zum gesellschaftlichen Thema wird, wenn es rassistisch zu instrumentalisieren ist. Im gesellschaftlichen Diskurs gab es zwei Pole:

Der eine war der, der vor allem thematisierte, dass „unsere deutschen“ Frauen nicht von „ausländischen“ Männern sexuell belästigt werden dürfen. Die Opfer wurden für den rassistischen Diskurs missbraucht. Nah dran am „wir müssen unsere deutschen Frauen gegen die Ausländer schützen“ von NPD, AfD und Co. Ich möchte da immer nur schreien: „Wir sind nicht „eure“ Frauen! Und Wir brauchen auch nicht „euren“ Schutz!“ Den kriegen wir nämlich auch nicht, wenn es um den alltäglichen Sexismus geht! Welche Frau wurde in ihrem Leben noch nicht in verschiedensten Kontexten sexuell belästigt, erniedrigt oder gar vergewaltigt? In der überwiegenden Zahl der Fälle war der Täter „biodeutsch“. Wo war da „euer“ Schutz?

Der andere Pol in der Debatte nach der Silvesternacht 2015 waren diejenigen, die aus Angst vor dem rassistischen Missbrauch dieser Straftaten geschwiegen und relativiert haben. Wo war die aufgeklärte Linke, die sexualisierte Gewalt ächtet? Warum wurde kaum darüber geredet, wie Frauen wirksam vor sexuellen Belästigungen zu schützen sind? Nur einige Frauen haben thematisiert, dass es völlig egal ist, von wem sexualisierte Gewalt ausgeht, dass sie einfach immer zu ächten ist. Wo waren die vielen ach so aufgeklärten Männer in dieser Debatte? Ich kann nur konstatieren: Ihr habt uns allein gelassen!

In diesem Jahr kam es in der Silvesternacht nicht zu solchen massiven Übergriffen und Belästigungen. Deshalb ist diese Dimension maximal ein Nebenschauplatz. Und doch werden Frauen auch hier wieder instrumentalisiert, wenn auch nur als Rechtfertigung für den Einsatz, so wie er stattgefunden hat. Auch diese Debatte ist verkürzt, weil sie das eine gegen das andere ausspielt. Das Recht auf Schutz vor (sexualisierter) Gewalt gilt in jedem Kontext und für jeden Menschen, ebenso wie die Freiheitsrechte für alle gleich gelten.

Zusammenfassend: Der aktuelle Diskurs ist polarisiert und interessengeleitet. Und genau das ist das Problem bei allen Dimensionen dieser Debatte. Lasst uns die Debatte vom Kopf auf die Füße stellen und endlich zum Kern des Problems kommen: Wie wollen wir miteinander leben? Wie wollen wir in unserem Land miteinander umgehen? Wie soll der Staat sich bei all dem verhalten? Und ich wünsche mir sehr, dass wir uns an dem, was uns an Grundrechten gegeben ist, orientieren: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Jeder hat das Recht auf körperliche Unversehrtheit.  Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

Das sind die Kriterien, die wir anlegen müssen, nicht nur bei der Bewertung einzelner Ereignisse sondern immer wieder, jeden Tag und überall!