Alle unfähig außer Papa? - Anmerkungen zur Flüchtlingsunterbringung im Havelland

Alle unfähig außer Papa? – Anmerkungen zur Flüchtlingsunterbringung im Havelland

Ich habe eine ganze Weile überlegt, ob ich etwas zu den beiden Artikeln in der BRAWO zur Flüchtlingsunterbringung im Havelland schreibe. Es geht um diese Artikel: Landrat wirft Ministerium Tatenlosigkeit vor und Asyl: Notunterkunft wird noch im August belegt. Und eigentlich müsste man dies unkommentiert lassen, weil das gesamte Thema nicht geeignet ist für Gezänk zwischen politisch Verantwortlichen. Dess ich dies hier dennoch veröffentliche hat damit zu tun, dass ich glaube, dass hier so viel Schaden angerichtet wird, dass es eines Signals vor allem an die Verantwortlichen in den Städten und Gemeinden und die Ehrenamtlichen in den Intiativen bedarf, dass die Äußerungen des Landrats nicht Konsens bei den politischen Akteuren im Havelland sind.

Die LeserInnen dieses Blogs wissen, dass ich mich im Landtag schwerpunktmäßig mit allen Fragen der Asyl- und Flüchtlings-, Migrations- und Integrationspolitik beschäftigte. Ich bin insofern im gesamten Land unterwegs und mit Kreis-, Gemeinde- und Stadtverwaltungen, mit Aktiven in der Flüchtlingsarbeit, Trägern von Flüchtlingsunterkünften, dem Flüchtlingsrat, dem BAMF und politisch Verantwortlichen aller Ebenen im Gespräch. Allen Akteuren, die mit den Fragen von Flüchtlingsunterbringung und -versorgung und der Integration beschäftigt sind, ist klar, dass diese Aufgabe in der aktuell nicht ganz einfachen Situation aufgrund der stark steigenden Flüchtlingszahlen nur im vertrauensvollen Miteinander zu bewältigen ist. Wir reden hier von einer gesamtgesellschaftlichen Verantwortung und dieser werden wir auch nur gemeinschaftlich gerecht.

Und keinem der Akteure würde ich aktuell unterstellen, nicht sein möglichstes dafür zu tun, Flüchtlinge menschenwürdig unterzubringen und ihre Versorgung sicherzustellen. Natürlich gibt es aktuell Lösungen bei der Unterbringung, die ich für nicht gut halte. Die geplante Unterkunft mit 600 Plätzen in Damsdorf oder auch die geplanten Wohncontainer mit 400 Plätzen in Schwönwalde/Glien habe ich kritisiert. Das aber immer fundiert, sachlich und mit Empathie für die verantwortlichen Entscheider, weil ich weiß, welchem Druck die Verantwortlichen in den Verwaltungen und auch die politisch Verantwortlichen stehen.

Was allerdings in den beiden oben verlinkten Artikeln passiert, hat mit genau diesem Umgang nichts zu tun. Der Landrat des Havellands, Dr. Burkhard Schröder, macht eine Genberalabrechnung mit allen Akteuren, mit denen er eigentlich gerade vertrauensvoll zusammen arbeiten müsste:

  1. Das Sozialministerium des Landes – Wir lernen hier, die Verantwortlichen im Ministerium täten gar nichts und beschäftigten sich allenfalls mit Rand- und nicht mit Kernthemen. Viel mehr ist nicht zu erfahren, nicht, bei welchen Fragen sich der Landkreis stärkere Unterstützung wünscht, und auch nicht, welche Themen denn angeblich nicht bearbeitet werden. Fundierte Kritik, Herr Landrat, sieht anders aus! Ich habe dem Landkreis mehrmals meine Unterstützung angeboten in allen Fragen der Flüchtlingsunterbringung und -versorgung, ich vermittle auch gern ein persönliches Gespräch mit der Koordinatorin der Landesregierung, der Staatssekretärin Almut Hartwig-Tiedt, um zu klären, welche Anforderungen an das Ministerium es seitens des Landkreises gibt. Ich kann aber versichern, dass die Verantwortlichen im Ministerium sich nicht nur mit „Randthemen“ wie der Unterstützung von Willkommensinitiativen beschäftigen (dazu unten mehr). Sie kümmern sich – über das LASV – um die Erstattung der Pauschalen für die Landkreise und kreisfreien Städte für Investitionen und für Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen, sie helfen bei Unterbringungsengpässen, sie bearbeiten Fragen der gesundheitlichen Versorgung, sie springen ein, wenn der Bund aus der psychosozialen Versorgung aussteigt, sie bearbeiten Anträge zur Finanzierung von Deutsch-Kursen und mittlerweile fungieren sie als zentrale Ansprechpartner der Landesregierung für alle Fragen und Probleme aus den Landkreisen und kreisfreien Städten. Und genau diese Dinge sind auch ihr Job. Ihr Job ist nicht, die Hausaufgaben der Landkreise und kreisfreien Städte zu machen. Dies ist eine Aufgabe, die die Kommunen als Pflichtaufgabe nach Weisung erledigen müssen. Und dennoch arbeiten die Verantwortlichen im Ministerium daran, die gesetzlichen Rahmenbedingungen zu verbessern udn den aktuellen Erfordernissen anzupassen, weshalb aktuell mit Hochdruck die Novellierung des Landesaufnahmegesetzes bearbeitet wird.
    Und auch die anderen VertreterInnen der Landesregierung sind nicht untätig. Als der Landkreis Unterstützung bei der Suche nach einem Grundstück benötigte, wurde durch den Finanzminister unbürokratisch geholfen.
  2. Der Bund – Hier lernen wir, dass Angela Merkel mehr Kanze zeigen müsse, damit andere europäische Staaten mehr Flüchtlinge aufnehmen. Auch ich finde, dass die Verteilung der Flüchtlinge in Europa nicht gut geregelt ist. Ob man da allerdings beschwören muss, dass der Bürgerschaft der Geduldsfaden reißen könnte, muss der Landrat wissen. Dies wirkt in diesem Kontext wie eine Rechtfertigung von Aktionen gegen Flüchtlinge und ist sicher nicht geeignet, die angespannte Situation zu entschärfen. Mir würden im Übrigen ganz andere Forderungen an den Bund einfallen, bspw. dass er endlich strukturell in die Finanzierung der Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge einsteigen soll oder dass er dafür eintreten muss, dass Fluchtursachen bekämpft werden oder auch, dass die menschenverachtende Abschottungspolitik Europas mit dem Inkaufnehmen des jämmerlichen Verreckens Tausender an Europas Außengrenzen ein Ende haben muss. Aber nein, davon sagt der Landrat nichts.
  3. Die Verantwortlichen in den Kommnunen – Diesen Absatz muss ich kopieren, das bekommt man in der Deutlichkeit gar nicht indirekt zitiert: „Mit den Kommunen werde indes weiter intensiv zusammengearbeitet, wie Schröder meinte. Professionalität von Amtsinhabern sei mit Blick auf die Suche nach weiteren Standorten für Flüchtlingsunterkünfte jedoch dringend erforderlich. Diese vermisse er örtlich zuweilen. Schönwalde, Brieselang und Nauen nahm der Landrat explizit aus. Dort werde seiner Meinung nach amtsangemessen agiert.“
    Das ist dann wirklich der Hammer. Da unterstellt ein Landrat, der gerade eine Notunterkunft eröffnen muss, weil die Unterkunftskapazitäten des Landkreises nicht ausreichen, dass die Amtsinhaber in den Städten und Gemeinden des Havellands unprofessionell sind – ausgenommen die in Schönwalde, Brieselang und Nauen. Das ist schon interessant. Wir nehmen also zur Kenntnis, dass der Landrat meint, dass die Bürgermeister von Falkensee, Dallgow-Döberitz, Wustermark, Ketzin, Milower Land, Premnitz und Rathenow und die AmtsdirektorInnen von Nennhausen, Rhinow und Friesack in Fragen der Flüchtlingsunterbringung (die nicht einmal ihr Aufgabenbereich ist, die Verantwortung liegt beim Landkreis!) unprofessionell agieren. Schlimmer noch, im Umkehrschluss des letzten Satzes agieren diese auch nicht amtsangemessen.
    Ebenso wie beim Ministerium werden einfach mal Behauptungen in den Raum gestellt, ohne den Vorwurf konkret zu machen. Was wirft der Landrat den Verantwortlichen denn wirklich vor? Wobei haben Sie ihn nicht „amtsangemessen“ unterstützt? Ich frage mich da eher: Wo liegen die Versäumnisse des Landkreises, bei dem die Aufgabenträgerschaft liegt? So ein bisschen Selbstkritik ist auch beim Agieren des Landkreises angemessen, wenn ich auch nach wie vor finde, dass der Landkreis und namentlich der Sozialdezernent Wolfgang Gall in den letzten Wochen und Monaten bei der Schaffung von Unterkunftskapazitäten einen guten Job gemacht haben.
    Dennoch geht der Vorwurf des Landrats an der Realität vorbei: Nach meinem Erleben sind die Verantwortlichen in den Kommunen sehr wohl bemüht, den Landkreis bei der Standortsuche für Flüchtlingsunterkünfte zu unterstützen. Nur gibt es eben auch Vorschläge des Kreises, die aus diversen Gründen nicht optimal sind. Ja, ich gestehe es einem Bürgermeister oder den kommunalen Abgeordneten zu, dies auch zu artikulieren und nach anderen Lösungen zu suchen. Und wir sollten nicht vergessen, dass die eigentliche Integrationsarbeit vor Ort stattfindet. Wann hat der Landrat denn zum letzten Mal die Arbeit bspw. der Verantwortlichen in Rathenow, Friesack und Premnitz gelobt, die seit Monaten vor Ort die Integrationsarbeit zu leisten haben? Und hat er sich beim Bürgermeister von Dallgow-Döberitz bedankt, nachdem dieser mehrere Stunden vor der Tür auf einem Stuhl stehend denjenigen Rede und Antwort stand, die bei der Informationsveranstaltung des Landkreises keinen Platz mehr im Saal gefunden hatten? War dieses Agieren von Herrn Hemberger wirklich nicht amtsangemessen? Aus meiner Sicht hat er damit dem Landkreis an dem Abend einen wichtigen Dienst erwiesen. Die Veranstaltung wäre ansonsten sicher anders ausgegangen.
  4. Und die Willkommensinitiativen – Hier lernen wir (siehe oben), dies sei bestenfalls ein Randthema. Bereits in der Kreistagssitzung am 20.4. haben wir gelernt, wie der Landrat zu solchen Initiativen steht. Da hatte er dafür gesorgt, dass den Initiativen und all denjenigen, die wegen ihres Engagements in das Visier der Nazis gelangt sind, der Dank des Kreistags für ihr Engagement verwehrt blieb. (Diese haben übrigens dennoch Gesicht gezeigt, als die Absetzung des Landrats und des Bürgermeisters wegen der Standortwahl der Asylunterkunft in Nauen durch die Nazis bei einer Demonstration gefordert wurde. Der Bürgermeister war bei den Demonstranten, der Landrat nicht…) Man kann sich natürlich über das ehrenamtliche Engagement erheben und es als unwichtig abtun. Wenn ich mir anschaue, welch wichtige Arbeit die Aktiven in Friesack, in Falkensee (und an den anderen Orten im Kreis und im Land) leisten, halbe ich das aber für unangemessen. Ich persönlich habe extrem hohen Respekt vor denjenigen, die ihre Freizeit opfern, um anderen zu helfen. Und ich bin mir sicher, dass wir ohne dieses Engagement nicht auskommen, wenn wir Flüchtlingen ein gutes Willkommen im Havelland bereiten wollen. Ein Signal an sie, dass ihre Arbeit auch seitens des Landkreises wertgeschätzt wird, ist überfällig.

Alle unfähig außer Papa? Nein! Ich beobachte bei so gut wie allen Akteuren einen sehr verantwortungsbewussten Umgang mit der aktuellen Herausforderung. Burkhard Schröder hat allerdings gegen alle, mit denen er gerade zusammenarbeiten müsste, kräftig ausgeteilt.  Er versucht den Eindruck zu erwecken, dass alle außer ihm selbst und vielleicht noch seine Kreisverwaltung, ihren Job nicht machen. Und da will ich dann doch deutlich sagen: Diese Einschätzung ist schlicht falsch. Und: Vertrauensvolle Zusammenarbeit schafft dieses Agieren des Landrats sicher nicht. Auch als Ablenkung von den Problemen des Landkreises bei der Flüchtlingsunterbringung und -versorgung dürfte es nicht taugen.

Warum also dieser Rundumschlag? Offen gestanden bin ich da ratlos. Ich gebe zu, weder politisch noch persönlich zu verstehen, was Ziel dieser Attacken sein könnte. Ich weiß nur eines: Es richtet ernsthaften Schaden an und ist in der aktuellen gesellschaftlichen Situation angesichts der enormen Herausforderungen für alle beteiligten Akteure schlicht unverantwortlich und schafft im schlimmsten Fall zusätzliche Ressentiments in der Bevölkerung, im besten Fall Unverständnis und weniger Kooperation seitens der unter 1 bis 4 aufgeführten Aktiven.

Deshalb kann mein Appell hier nur sein: Zurück zur Sachlichkeit und Schluss mit unspezifischen und wenig fundierten Vorwürfen, noch dazu in der Öffentlichkeit!

Und, es sei mir verziehen, dass ich dies wieder erwähnen muss: Die Erarbeitung eines Integrations- und Unterbringungskonzepts unter Beteiligung aller Akteure aus Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft, wie wir es als LINKE bereits im April gefordert haben, würde gegenseitiges Verständnis, Empathie und die besten Lösungen für die Flüchtlingsunterbringung und -versorgung im Havelland zumindest fördern. Deshalb wäre es gut, wenn der Landrat seine Energie in die Arbeit mit den Akteuren investieren würde, anstatt sie über die Presse öffentlichkeitswirksam zu beschimpfen.