Asylpaket II – Eine erste Einschätzung der vorliegenden Gesetzentwürfe

Asylpaket II – Eine erste Einschätzung der vorliegenden Gesetzentwürfe

Am 5. November 2015 haben die Parteivorsitzenden von CDU, CSU und SPD weitere Asylrechtsverschärfungen verabredet, die nun auf den parlamentarischen Weg gebracht werden. Der Referentenentwurf lag seit November vor, es gab jedoch Streit – vor allem zum Familiennachzug – zwischen den Koalitionspartnern. Nach mehreren Wochen Debatte gab es einige Nachbesserungen und Veränderungen. Am 3.2.2016 hat das Bundeskabinett das Asylpaket II gebilligt. Inzwischen erhebt sich jedoch neuer Streit zur Frage des Familiennachzugs bei unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen. Ggf. ist demnach mit Nachbesserungen zu rechnen.

Grundsätzlich ist dazu zu sagen, dass die umfassenden Asylrechtsänderungen aus dem Oktober gerade erst in Kraft getreten und noch nicht einmal im Ansatz umgesetzt sind. Erneute Verschärfungen und Änderungen werden vor allem weitere Verunsicherung schaffen und das bereits überlastete System weiter chaotisieren. Eine erneute Änderung – egal welchen Inhalts – ist deshalb zu aktuellen Zeitpunkt nicht geeignet, das Asylsystem zu stabilisieren. Gleichzeitig sind die Vorschläge darauf gerichtet, weitere Abschreckungsmechanismen zu schaffen und der Öffentlichkeit vorzugaukeln, die aktuellen Probleme wären durch Verschärfungen des Asylrechts lösbar. Die Einführung eines beschleunigten Verfahrens stellt zudem einen massiven Eingriff in das individuelle Recht auf Asyl dar, der nicht nur (wie öffentlich diskutiert), Asylsuchende aus sogenannten sicheren Herkunftsstaaten, sondern diverse weitere Asylsuchende treffen wird, so dass davon auszugehen ist, dass das beschleunigte Verfahren faktisch zu einem Standardverfahren werden wird.

Das Asylpaket II besteht aus zwei Gesetzentwürfen, dem zur Ausweitung sogenannter sicherer Herkunftsstaaten und dem Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren. Ersteres wird voraussichtlich nach Verabschiedung durch den Bundestag in zwei Lesungen im März und April 2016 im Bundesrat behandelt. Das Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren soll noch im Februar Bundestag und Bundesrat passieren.

Zu den einzelnen in den Gesetzentwürfen enthaltenen Regelungen:

 

Gesetz zur Bestimmung von Algerien, Marokko und Tunesien als sichere Herkunftsstaaten

Der Entwurf des Gesetzes ergänzt die Anlage II um die im Titel des Gesetzes genannten Staaten. Damit würden künftig folgende Staaten als sogenannten sichere Herkunftsstaaten eingestuft: Albanien, Demokratische Volksrepublik Algerien, Bosnien und Herzegowina, Ghana, Kosovo, Königreich Marokko, Mazedonien, ehemalige jugoslawische Republik, Montenegro, Senegal, Serbien, Tunesische Republik.

Zur grundsätzlichen Auseinandersetzung mit dem Konzept der „sicheren Herkunftsstaaten“ und dessen Ablehnung durch DIE LINKE sei auf die Ausführungen hier im Blog verwiesen, die hier nicht wiederholt werden sollen.

Gleichzeitig sind die Maghrebstaaten mitnichten „sicher“. Selbst in der Begründung des Gesetzentwurfs muss die Bundesregierung eingestehen, dass es in diesen Ländern sehr wohl Defizite bei den Menschenrechten gibt.

So werden in Marokko Befürworter einer unabhängigen Westsahara und Oppositionelle staatlich verfolgt und in den Gefängnissen wird gefoltert. Ehebruch und Homosexualität sind strafbar und Kinder- und Zwangsarbeit an der Tagesordnung.

In Algerien gilt ein Versammlungsverbot und die politische Betätigung wie auch die Pressefreiheit sind stark eingeschränkt. Es kommt zu willkürlichen Verhaftungen, Homosexualität ist ebenso strafbar wie die Konversion vom Islam zu anderen Religionen und Frauen werden systematisch benachteiligt.

Und auch in Tunesien wird staatlicherseits gegen Oppositionelle und kritische Journalisten vorgegangen, es gibt Berichte über Folter in Gefängnissen und Gewalt und Willkür bei Demonstrationen. Homosexualität wird mit Gefängnis bestraft.

Es bleibt dabei: Staaten werden nicht dadurch sicher, weil Deutschland das beschließt. In allen drei Staaten gibt es sehr wohl staatliche Verfolgung. Vor allem für Frauen, Homosexuelle und Oppositionelle sind diese Länder mitnichten sicher!

 

Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren

Das Gesetz ist vor allem darauf gerichtet, ein neues Schnellverfahren einzuführen, Leistungskürzungen vorzunehmen und den Familiennachzug einzuschränken.

  • Beschleunigtes Asylverfahren
    • Soll angewendet werden auf Asylsuchende
      • aus sicheren Herkunftsländern,
      • die falsche Angaben über Identität oder Staatsangehörigkeit gemacht haben,
      • ihr Reisedokument mutwillig vernichtet oder beseitigt haben oder Umstände diese Annahme rechtfertigen,
      • einen Folgeantrag gestellt haben,
      • den Antrag nur zur Verzögerung einer drohenden Abschiebung stellen,
      • erkennungsdienstliche Maßnahmen verweigert oder
      • die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet.
    • BAMF entscheidet innerhalb einer Woche nach Aufnahme in besonderer Aufnahmeeinrichtung
    • Asylsuchende müssen während des Verfahrens in besonderer Aufnahmeeinrichtung wohnen -> verschärfte Residenzpflicht

Im Vergleich zum ursprünglichen Referentenentwurf sind einige recht unbestimmte Formulierungen zu den Personengruppen, auf die die Regelung anzuwenden ist, entfallen. Gleichzeitig ist noch immer davon auszugehen, dass diese Neuregelung dazu führen wird, dass das beschleunigte Verfahren bei sehr vielen Asylsuchenden angewandt wird. Vor allem die Einreise ohne Reisedokumente trifft sehr viele Asylsuchende und die Abgrenzung zwischen denjenigen, die ihren Pass tatsächlich weggeworfen oder vernichtet haben und denjenigen, die diesen verloren haben oder auf ihre Flucht nicht mitnehmen konnten, dürfte fast unmöglich sein. Und auch bei denjenigen, die während ihrer Flucht ihre Identität bewusst verschleiern mussten, wird künftig das beschleunigte Verfahren Anwendung finden.

Das beschleunigte Verfahren folgt dem Vorbild des umstrittenen Flughafenverfahrens, das in der Praxis häufig zu Fehlentscheidungen führt. Dieses steht in der Kritik, da keine Zeit ist, Fluchtgründe ausreichend zu überprüfen, oftmals keine spezialisierten Entscheider zur Verfügung stehen, die Anhörungen am „Fließband“ wenig sensibel und oft zu kurz geführt werden und die Bescheide oberflächlich sind. Es sind in einer Studie von Pro Asyl eklatante Fehlentscheidungen dokumentiert, die nach der Abschiebung zu Verhaftungen im Herkunftsstaat führten. All diese Kritikpunkte am Flughafenverfahren sind 1:1 auf das beschleunigte Verfahren übertragbar. Die individuelle Prüfung von Fluchtgründen wird in diesem Schnellverfahren nicht möglich sein. Damit wird das Grundrecht auf Asyl ein weiteres Mal massiv ausgehöhlt.

 

  • Nichtbetreiben des Verfahrens
    • Antrag gilt als zurückgenommen, wenn Verfahren nicht betrieben wird. Nichtbetreiben wird angenommen wenn:
      • Wesentliche Informationen nicht vorgelegt oder Aufforderung zur Anhörung nicht nachgekommen wird
      • Asylsuchender untergetaucht ist oder seinen Melde- und Mitteilungspflichten nicht nachgekommen ist
      • Gegen räumliche Beschränkung der Aufenthaltsgestattung (Residenzpflicht) verstoßen wurde
    • Antrag gilt auch als zurückgenommen, wenn Asylsuchender in seinen Herkunftsstaat reist
    • Bei zurückgenommenem Antrag stellt BAMF Asylverfahren ein und erlässt Abschiebeandrohung, von Feststellung von Abschiebeverboten kann abgesehen werden, Ausreisefrist eine Woche
    • Wiederaufnahme des Verfahrens kann einmalig beantragt werden

Diese Regelung, dass bereits wegen eines Verstoßes gegen die Residenzpflicht oder des Versäumens einer Anhörung der Antrag als zurückgenommen gilt und damit die Abschiebung droht, verstößt gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und ist mit der Genfer Flüchtlingskonvention nicht vereinbar. Die Maßnahmen im Zusammenhang mit der Verletzung der Residenzpflicht sind zudem von der EU-Aufnahmerichtlinie nicht gedeckt.

 

  • Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär Schutzberechtigte
    • Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte wird für zwei Jahre ausgesetzt

Subsidiär geschützte Personen sind jene, die zwar nicht als Asylberechtigte anerkannte bzw. keinen Flüchtlingsstatus nach Genfer Flüchtlingskonvention erhalten haben, die jedoch einen Aufenthaltsstatus erhalten, weil ihnen im Herkunftsland Tod, Folter oder ernsthafte Bedrohung drohen. Mit der Gesetzesänderung im August wurde ihr rechtlicher Status dem der anerkannten Flüchtlinge angepasst. Zwar handelt es sich aktuell um eine recht kleine Gruppe von Geflüchteten, bis Oktober erhielten im Jahr 2015 lediglich 1.366 Personen, vorrangig aus Eritrea und Afghanistan diesen Status. Allerdings ist an dieser Stelle zu betonen, dass die Verweigerung des Familiennachzugs für jede und jeden Einzelnen eine extreme persönliche Härte darstellt, die auch schwerwiegende psychische Probleme zur Folge haben kann. Und gleichzeitig wurde im November bekannt, dass der Innenminister das BAMF angewiesen hat, Syrerinnen und Syrern vorrangig nur noch subsidiären Schutz zu gewähren. Zwar wurde diese Maßnahme eilig zurück genommen, es wurde dadurch jedoch deutlich, dass zumindest die Unions-Seite durchaus das Ziel verfolgt, Flüchtlingen massenhaft den Familiennachzug zu verwehren.
Dies hätte weitreichende Auswirkungen: Bereits jetzt ist zu beobachten, dass immer mehr Frauen und Kinder sich auf den gefährlichen Weg über das Mittelmeer machen. Die Verweigerung des Familiennachzugs wird – neben den beschriebenen Härten für diejenigen, die bereits hier sind – zur Folge haben, dass noch mehr Frauen und Kinder, Alte und Kranke sich auf den für sie besonders lebensgefährlichen Weg begeben.

Es ist darauf hinzuweisen, dass dies gerade nicht bedeutet, dass die subsidiär Schutzberechtigten nach Ablauf der Zwei-Jahres-Frist ihre Familie nachholen können. Aktuell dauert das Verfahren zum Familiennachzug aufgrund bürokratischer Hürden nicht selten mehr als ein Jahr. Praktisch bedeutet die Aussetzung für zwei Jahre deshalb, dass Familien drei Jahre und länger nicht nachziehen können.

Ich halte diese Regelung für verfassungsrechtlich bedenklich, da sie dem grundgesetzlichen Schutz der Familie ebenso widerspricht wie der UN-Kinderrechtskonvention und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union.

Hinzu kommt, dass eine solche Maßnahme integrationsfeindlich ist. Einerseits ist gewollt, dass Asylsuchende in den Arbeitsmarkt integriert werden, andererseits wird ihnen aber mitgeteilt, dass ihre Familien in den Kriegsgebieten verbleiben müssen. Das ist nicht nur widersinnig sondern auch unmenschlich.

Aktuell hat die SPD-Seite diese Regelung zumindest für die unbegleiteten Minderjährigen Flüchtlinge in Frage gestellt. In der Debatte wird mitgeteilt, die Regelung wäre kurzfristig ohne Absprache im Entwurf verschärft. Bisher kann ich diese Verschärfung nicht erkennen, da der noch im Referentenentwurf vorhandene Hinweis in der Begründung des Gesetzes, dass diese Regelung ausdrücklich auch für unbegleitete Minderjährige gilt, augenscheinlich entfallen ist. Es ist jedoch möglich, dass die mir vorliegende Fassung des Gesetzes in dieser Frage nicht der durch das Kabinett beschlossenen entspricht.

  • Kürzung der Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz für in der Erstaufnahme lebende Flüchtlinge
    • Leistungskürzung in Höhe von 5 bis 10 Euro monatlich
    • Leistungen werden bis zur Ausstellung eines sogenannten Ankunftsnachweises nur in eingeschränkter Höhe gewährt (also nur für das physische Existenzminimum – Nahrung, Kleidung, Körperpflege)

Asylsuchende, die in der Erstaufnahme leben, erhalten bereits jetzt niedrigere Leistungen als diejenigen, die in die Kommunen verteilt wurden. Im Gesetzentwurf wird die Kürzung damit gegründet, dass Leistungsbestandteile, die im Bedarfssatz bisher berücksichtig waren, die jedoch nur bei einem langfristigen Aufenthalt notwendig sind, aus dem Bedarfssatz herausgerechnet werden. Dies betrifft bspw. Ausgaben und Gebühren für Kurse oder auch die Anschaffungskosten für TV-Antennen.

Hier wird einmal mehr das soziokulturelle Existenzminimum angetastet.

Unklar ist mir aktuell, wie die Behauptung, Asylsuchende würden an den Kosten der Sprachkurse beteiligt, begründet ist. Im Gesetzentwurf findet sich eine solche Regelung nicht. Ggf. ist jedoch die hier vorgenommene Kürzung, die, glaubt man der Begründung, 70 Millionen Euro jährlich Ersparnis für Länder und Kommunen bringen soll, gemeint. Es ist für die Auseinandersetzung darauf hinzuweisen, dass diese Kürzung jedoch alle Geflüchteten betrifft, auch diejenigen, die keinen Zugang zu Sprach- und Integrationskursen haben.

  • Abschiebungshindernis Krankheit
    • Abschiebungshindernis liegt nur vor bei
      • lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Krankheiten, die sich durch die Abschiebung erheblich verschlechtern würden und nicht schon bei der Einreise vorlagen
      • es wird in der Begründung klar gestellt, dass bspw. traumatische Störungen keine solche schwerwiegende Erkrankung darstellen
      • ausreichende gesundheitliche Versorgung im Herkunftsstaat liegt auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist und sie muss nicht gleichwertig mit der in Deutschland sein
      • es gilt grundsätzlich die Vermutung, dass kein Abschiebungshindernis vorliegt, es sei denn, es wird durch Attest das Gegenteil nachgewiesen, bei Zweifeln kann eine weitere Untersuchung angeordnet werden

Der Gesetzentwurf ist im Vergleich zum ursprünglichen Referentenentwurf hier entschärft. Gleichzeitig wird damit das Abschiebungshindernis Krankheit in der weit überwiegenden Zahl der Fälle nicht mehr greifen. Besonders problematisch hierbei sind die weitgehende Ausnahme psychischer Erkrankungen sowie die Feststellung, eine ausreichende gesundheitliche Versorgung wäre bereits gegeben, wenn diese in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gibt es also in einem geschützten Korridor eine internationale Hilfsorganisation, die die medizinische Versorgung sicher stellt, gibt es faktisch keinen Abschiebeschutz.

  • Schutz Minderjähriger
    • Träger von Einrichtungen müssen sich künftig von denjenigen, die mit Minderjährigen in der Einrichtung zu tun haben, ein erweitertes Führungszeugnis vorlegen lassen

Diese Regelung ist zu begrüßen, Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass dies als einzige Maßnahme zum Schutz Minderjähriger deutlich zu kurz greift. Ursprünglich gab es die Vereinbarung zwischen Innenminister und Familienministerin, dass bestimmte Mindeststandards wie abschließbare und getrennte Toiletten und Duschen vorzuhalten sind und Einrichtungen, in denen Kinder und Jugendliche leben, auch eine Betriebserlaubnis nach Kinder- und Jugendhilferecht benötigen. Unabhängig von der Einzelwürdigung dieser Maßnahmen findet sich davon im Gesetz nichts!

 

Insgesamt ist zu sagen, dass diese Gesetzentwürfe nichts enthalten, was im Sinne einer humanistischen Flüchtlingspolitik sinnvoll ist. Eine Zustimmung im Bundesrat durch LINKE wäre nicht erklärbar und auch fachlich und politisch nicht zu rechtfertigen.