Bericht zur 31. Sitzung des Brandenburger NSU-Untersuchungsausschusses am 30. August 2018: Das V steht für Verrat
Dieser Artikel ist im Blog der Linksfraktion im Brandenburger Landtag als Sitzungsbericht aus Sicht der LINKEN Fraktion erschienen. Die Texte sind gemeinsam von den Referenten und den Abgeordneten der LINKEN im Ausschuss erarbeitet und sollen natürlich hier nicht vorenthalten werden.
31. Sitzung am 30. August 2018: Das V steht für Verrat
Die Zeug_Innen Steffi F., Dirk S. und Kai M. waren in den 1990er Jahren Mitglieder der Nazi-Szene in Brandenburg und teilweise eng mit den sächsischen „Blood & Honour“-Strukturen verbunden. Der Zeuge Dr. Förster leitete im „Sommer 1998“ den Brandenburger Verfassungsschutz. Den Spannungsbogen der Sitzung bildeten Anhaltspunkte einer direkten finanziellen Unterstützung des „NSU“ durch „Blood&Honour“-Bands sowie die vorsätzlich unterlassene Weitergabe der „Piatto“-Meldungen zum NSU-Trio an die Strafverfolgungsbehörden.
Stefanie F.: Hundetrainerin im Schafspelz
Die Zeugin F. arbeitete einst in Hohenstein-Ernstthal als Schwimmmeistergehilfin und verlobte sich im Juni 1998 mit Jan Werner, dem damaligen Leiter der sächsischen B&H-Sektion. Beide zogen im Herbst 1998 in eine gemeinsame Wohnung in die Ulmenstraße in Chemnitz. Zu dem Zeitpunkt lebte das untergetauchte spätere NSU-Trio „offen“ im Fritz-Heckert-Viertel.
Die Zeugin habe etwa ein Jahr mit Werner zusammengewohnt und sei dann nach Nauen gezogen. Sie sei persönlich von Werner enttäuscht worden, weil der sie betrogen habe – was wir aus anhand der berüchtigten TKÜ-Daten des LKA Thüringen bestätigen konnten. F. habe ihre Konkurrentin – die Schwedin Emmalina K. aus dem Umfeld der Band „Storm“ – einmal in einer Chemnitzer Disko getroffen und sei stutzig geworden, weil jene sich bei ihr entschuldigte. F. zog daher Ende 1999 in eine Nauener WG, wo sie mit später mit dem damaligen Nazi-Musiker Dirk S. zusammenkam. Letzterer sollte mit seinem Aussageverhalten noch für Aufmerksamkeit sorgen.
Auch die Zeugin F. wollte zunächst kaum etwas über ihre Chemnitzer Zeit preisgeben. Sie gab an, Werner in einer Disko kennengelernt zu haben und quasi aus jugendlichem Leichtsinn in seiner Szene gelandet zu sein. Dies war der Zeugin nicht zu glauben – unserer Abgeordnete Isabelle Vandre hielt ihr vor, dass sie schon auf einem „Blood&Honour“-Gruppenfoto in Wermsdorf im Jahre 1997 posierte. Ausgerechnet Thomas Starke hatte sie in seiner BKA-Vernehmung im Jahre 2012 darauf wieder erkannt und auf sie gezeigt. Die Zeugin gab sodann kleinlaut zu, dass sie dann wohl auch dabei war. Sie habe sich seit 1999 aber von der rechten Szene distanziert. Eine Aussage, die unseren Abgeordneten ebenfalls unglaubhaft erscheint, denn noch heute teilt F. rassistische Propaganda über ihre Facebook-Seite.
Im November 1998 habe die Polizei eine Durchsuchung in F. und Werners gemeinsamer Wohnung durchgeführt und größere Mengen CDs beschlagnahmt. Da sei ihr erst bewusst geworden, wohin sie geraten sei. Beim späteren Prozess in Chemnitz sei sie mit angeklagt gewesen, da Werner auch auf ihren Namen CDs geordert hätte. Sie sei zu Sozialstunden verurteilt worden, die sie in einer Nauener Kita ableistete.
Von konkreten Nazistrukturen in Chemnitz will F. „leider“ nichts mitbekommen haben. Werner sei damals als Fernkraftfahrer häufig unterwegs gewesen, andere Personen habe sie kaum gekannt. Nur mit Antje Probst habe sie so etwas wie eine Freundschaft unterhalten. Bei dieser sei sie öfters zum Kaffee- oder Glühweintrinken gewesen. Die Gespräche hätten sich aber vor allem um persönliche Belange gedreht, anderes erinnere sie nicht mehr. Auf Nachfrage bestätigte sie, regelmäßig im Szeneladen „Sonnentanz“ in Limbach-Oberfrohna gewesen zu sein. Dieser Laden sei „wirklich ganz mini“ gewesen. Man habe einen Berg hochfahren müssen. F. könne sich nicht vorstellen, dass dort jemand ein Praktikum habe machen können. Von einer Beschäftigung Szczepanskis habe sie dort nichts mitbekommen.
Die Zeugin F. gab zu, auch die Potsdamer Neonazis Uwe Menzel und Christian Wenndorff gut gekannt zu haben. Von ihren aktenkundigen Beihilfehandlungen zum Handel mit CDs und Zeitschriften gab sie nur zu, Werner hin- und wieder beim Ein- und Ausladen der Ware geholfen zu haben. Von Isabelle Vandre auf ihre nachgewiesene Anwesenheit beim berüchtigten Konzert in Hirschfeld am 04.09.1998 angesprochen, lavierte die Zeugin erneut herum, gab dann aber zu „ja klar“ auch mal die Kasse gemacht zu haben.
Jan Werner sei für Waffenbeschaffung aus ihrer Sicht kaum in Frage gekommen. Der sei ein netter lieber Typ gewesen, der Gewalt nicht verherrlicht habe und mehr so der Typ „Weichei“ sei. An ihre Verlobungsfeier in Ottendorf-Oskrilla, an der 50 Gäste, darunter Thomas Starke, Hendrik Lasch, Michael und Antje Probst, Uwe Menzel, Mirko Hesse, Ralf Marschner, Jörg Winter und Sebastian Andrä teilnahmen, habe sie keine Erinnerung mehr.
Werner habe noch einen Kumpel gehabt, dass sei so ein dicker, knuffiger gewesen, der habe ihm mit dem CD-Geschäft geholfen, an den habe sie Erinnerungen – auf Nachfrage fiel ihr wieder ein, dass sei Andreas „Mucke“ Graupner gewesen. Sie selbst sei zu Unrecht mit dem Handel in Verbindung gebracht worden. Es habe in ihrer Ermittlungsakte ein Observationsfoto gegeben, auf dem sie eine Kiste trage, dass müsse an ihrer Anschrift in Chemnitz gemacht worden sein.
Es könne sein, dass ihr späterer Freund in Nauen, Dirk S., noch Kontakte nach Chemnitz hatte und von dort darüber berichtete, dass die Enttarnung von Carsten Szczepanski für Unmut sorgte. Mit S., der heute in der Band „SFW“ spielt, sei sie bis etwa 2005/2006 zusammen gewesen.
Dirk S.: Nazi-Bands und Beihilfe zum Mord
Von Dirk S. wussten wir bereits aus freier Antifa-Recherche, dass er in den 1990er Jahren ein umtriebiger Szenemusiker war. Er spielte in den Bands wie „Razors Edge“, „English Rose“, „Close Shave“ und „Independence“, zusammen mit Menzel und Wenndorff auch bei „Aryan Brotherhood“.
Er erschien mit seinem Rechtsanwalt Gordon Krämer und machte frühzeitig ein „allgemeines Aussageverweigerungsrecht“ geltend. Weil ein solches Recht aber nur unter sehr engen Voraussetzungen besteht, und der Zeuge zunächst auch keine dafür erforderlichen Anknüpfungstatsachen nennen wollte, setzten wir uns für eine Fortführung der Vernehmung ein und forderten frühzeitig die Verhängung von Zwangsmitteln.
Die Vernehmung wurde fortgesetzt, doch der Zeuge verweigerte auf die Frage, in welchen Bands er in den 1990ern gespielt habe, erneut eine Antwort. Es folgte ein bemerkenswertes Statement des Zeugenbeistands Rechtsanwalt Krämer: „Der „NSU“ wurde strukturell, personell und finanziell unterstützt, auch aus dem Bereich der Kunst. Es ist daher eine Strafbarkeit meines Mandanten wegen versuchten Mordes denkbar.“
Auf sofortige Nachfrage unserer Abgeordneten Isabelle Vandre, dass dies die so genannte „Drei-Personen-These“ widerlegen würde, rutschte Krämer schließlich sogar der Klarname seines Mandanten heraus. „Das ist ihre Interpretation. Viele Verteidiger machen sich dazu Gedanken und trotzdem werden Menschen rechtlich verurteilt.“ orakelte er. Doch auch auf den Vorhalt des Abgeordneten Redmann (CDU), dass sein Mandant doch nichts zu befürchten habe, wenn er nichts von der Unterstützung des „NSU“ durch bestimmte Bands gewusst habe, wurde weiterhin die Aussage verweigert.
Die Abgeordneten verständigten sich daraufhin zu Ordnungsmitteln gegen den Zeugen. Die Vernehmung wurde fortgesetzt.
Carsten Szczepanski kannte er nicht. Jan Werner? Möglich, dass man sich mal unterhalten habe, aber nur über belanglose Sachen. Dass er diesem die Freundin ausgespannt habe – die Zeugin F. – habe der bestimmt nicht gut gefunden. Zur Band „Landser“ habe er keinen Kontakt gehabt. Auf Vorhalt unserer Abgeordneten Johlige musste er aber zugeben, dass er Christian Wenndorff gut kannte, dieser öfter bei ihm übernachtete, Dinge zwischenlagerte und er mit diesem auf Konzert-Touren fuhr.
Der Zeuge kam schließlich doch noch ins Plaudern und erzählte von seiner Wehrdienstzeit als Funker in Geltow 1997/1998. Er sei nicht befördert worden, weil er kein Gelöbnis auf die Bundesrepublik leisten wollte. Danach habe er Hausbau gelernt.
Unsere Abgeordnete Johlige hielt ihm vor, dass Uwe Menzel in dessen BKA-Vernehmung 2012 davon berichtet habe, dass der Zeuge S. im Sommer 1998 – wie möglicherweise auch Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe – in Ungarn gewesen sein könnte. Dirk F. wollte nicht ausschließen, dass er mit der Band „Razors Edge“ dort war. An das „Ungarn-Video“ von Andreas Graupner habe er aber keine Erinnerung, obwohl wir aus der TKÜ-Daten über Jan Werner wissen, dass dieses Video an ihn versandt werden sollte. Es ist richtig, dass er einmal in Dänemark wegen Waffenbesitzes verhaftet worden sei – Szczepanski hatte darüber berichtet –, das sei jedoch nur ein Taschenmesser gewesen. Er saß dafür zwei Tage in Haft.
Unsere Abgeordneten Johlige konnte schließlich noch herausarbeiten, dass Jan Werner nach seiner berüchtigten SMS an Szczepanski am 25.08.1998 mit dem Inhalt: „WAS IST MIT DEN BUMS“, anschließend 26 versuchte, den Zeugen S. zu erreichen. Werner hatte sich, nachdem S. auf seiner normalen Nummer nicht erreichbar war, sogar von Andreas „Mucke“ Graupner die Festnetznummer des Vaters des Zeugen besorgt. Was Werner an jenem Tag von ihm gewollt habe und ob er ihn erreicht hatte, wollte S. nicht mehr erinnern.
Der Zeuge wurde vereidigt. Gegen ihn wurde wegen der fortgesetzten Weigerung, auf bestimmte Fragen zu antworten beim zuständigen Landgericht ein Ordnungsgeld beantragt. Eine erneute Vernehmung ist möglich.
Kai M.: In Königs Wusterhausen war jeder rechts, selbst die Punks
Kai M. wurde 1992 schnell als Haupttäter des Pogroms von Wendisch-Rietz festgestellt und zu einer achtjährigen Gefängnisstrafe wegen versuchten Mordes verurteilt. Während seiner Haft soll er sich – so berichtete es der Zeuge B. in der 27. Sitzung – von der rechten Szene gelöst haben. Seine Tat in Wendisch-Rietz, bei der ein aus Nigeria stammender Lehrer fast zu Tode kam, sei aus seiner Erinnerung eher die Folge seines übermäßigen Alkoholgenusses gewesen. Er sei geschockt gewesen, als er nach seiner ersten Vernehmung nicht wieder in entlassen wurde, sondern in U-Haft kam. Um sich zu schützen habe der den Vernehmungsbeamten „ein bisschen was vom KKK“ erzählt und gehofft, er könne sich damit entlasten. Es sei ja keine große Schlägerei gewesen, da keiner abgestochen wurde. Er habe das Opfer „unter den Arm genommen“, da sei es schon bewusstlos geworden. Die Tat sei nicht geplant gewesen.
Anfang der 1990er Jahre war M. in Königs Wusterhausen ansässig. Über diese Zeit sagte er, eigentlich wären in KW damals alle rechts gewesen, „sogar die Punks“. M. war selbstständiger Unternehmer im Zeitungsvertrieb und stellte Szczepanski nach dessen „Flucht“ nach KW bei sich an. Nach dem Pogrom von Wendisch-Rietz verlor er Szczepanski aus den Augen. Später, nach dem rechtskräftigen Urteil, wurde M. in der JVA Brandenburg an der Havel inhaftiert. Hier kreuzten sich 1995 erneut ihre Wege. Er sei dann aber über die Wohngruppe des „Blaues Kreuz e.V.“ aus der Szene ausgestiegen. Einmal hätten ihm russische Gefangene geholfen, als er angegriffen wurde.
M. sagte – ähnlich wie Szczepanski – im Dolgenbrodt-Prozess gegen den Brandstifter Silvio J. aus. Dieser habe vor ihm während seiner U-Haft von außerhalb der Gefängnismauern geprahlt, dass er gemacht habe, was sich sonst keiner traue. Als er dann jedoch von falschen Anschuldigungen J.s gegen andere hörte, habe er sich als Zeuge zur Verfügung gestellt.
Der Zeuge M. arbeitete zum Zeitpunkt der Inhaftierung Szczepanskis in Brandenburg an der Havel schon in der Redaktion der Gefangenenzeitung, und auch Szczepanski versuchte, an einen der beliebten Redaktionsjobs zu kommen. Dies scheiterte allerdings und so durfte Szczepanski nur ein- oder zweimal pro Woche als ehrenamtlicher Mitarbeiter aushelfen. Auch meinte M. bei der Anhörung, Szczepanski habe immer „ein wenig ausgebremst werden müssen“.
Über die Verhältnisse innerhalb der JVA berichtete M., dass, entgegen mancher Aussagen vor dem Untersuchungsausschuss, keine „rechte Musik über die Gänge geschallt“ wäre. Die Sicherheitsbeamten wären eingeschritten, wenn es laut wurde. Seine Oma habe ihm bei Treffen immer selbstgebackenen Kuchen mitgebracht, ohne dass das jemand bemerkt habe. Ob auch andere Gefangene in ähnlicher Manier bevorteilt wurden, könne er allerdings nicht sagen. Im Gefängnis schaue jeder auf sich selbst. Auch der Vorwurf, dass in der Gefängnisdruckerei neonazistische Schriften produziert und gedruckt worden seien, sei ihm nicht konkret erinnerlich. Da habe „es wohl mal Terz“ gegeben, warum genau könne er aber nicht mehr sagen.
Im Februar 1998 wurde M. vorzeitig aus der Haft entlassen. Vorher habe er als Freigänger im 100 km entfernten Berlin gearbeitet. Das sei kein Problem gewesen und solche Distanzen sicherlich keine Seltenheit. Ein weiterer Gefangener sei zum Beispiel täglich nach Friedrichshagen gefahren. An Szczepanskis Praktikum in Limbach-Oberfohna habe er keine Erinnerungen, da war er schon aus der Haft entlassen.
Dr. Förster: Das V in V-Mann steht für Verrat
Hans Jürgen Förster war von November 1996 bis Ende September 1998 Abteilungsleiter des Brandenburger Verfassungsschutzes. Zu Beginn seiner Vernehmung zitierte er aus seiner Rede, die er anlässlich des 15. Jahrestages des Brandenburger VS hielt. Darin vertrat er die Auffassung, dass der Rechtsextremismus im Vordergrund aller Anstrengungen zu stehen habe. Seine Auffassung sei es immer gewesen, auch die Zivilgesellschaft in die Bekämpfung rechter Umtriebe einzubinden. Strenge Regeln nach Innen und Transparenz nach Außen seien seine Devise gewesen, auch um den Verfassungsschutz von der Staatssicherheit der DDR abzugrenzen. Dazu brauche es eine penible Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben. Förster plädierte dafür, einen Richtervorbehalt bei der Führung von V-Leuten einzuführen. „Das V in V-Mann steht für Verrat“ zitierte er den SPD-Juristen Adolf Arndt. Diesen Gedanken habe er schon während seiner Dienstzeit immer wieder geäußert, was aber nicht bei allen Mitarbeitern Anklang fand.
Als Förster 1996 den Verfassungsschutz übernahm, fand er auch zeitnah den Aktenvorgang zum V-Mann Szczepanski auf seinem Tisch. Er sei entsetzt gewesen, so jemanden als V-Mann in der Abteilung gehabt zu haben. Deshalb sei er auch sofort zu Innenminister Ziel gegangen, um diesen darüber zu unterrichten. Ziel habe dann entschieden, sich bei Ignaz Bubis, dem Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland als allgemein anerkannte moralische Autorität rückzuversichern. In einem Aufenthaltsraum des Flughafen Tegel soll auf die Frage, ob „so jemand“ als Quelle geführt werden dürfe geantwortet haben: „Ihr müsst!“. Auch in der Parlamentarischen Kontrollkommission habe sich Förster grünes Licht geholt, wobei er dort auch über den Klarnamen von „Piatto“ gesprochen habe.
Unser Obmann Dr. Volkmar Schöneburg hielt ihm vor, dass die Quellenführer R.G. und Meyer-Plath Szczepanski bei der Herstellung seines Neonazi-Fanzines „United Skins“ in der Haftanstalt unterstützt hätten. Förster habe diesen Verdacht damals gehabt. Es kam ihm ungewöhnlich vor, dass Szczepanski eine Vielzahl an Schreibmaschinenbändern in die Haft erhielt. Um sicherzustellen, dass die Mitarbeiter seiner engen Linie bei der V-Mann-Führung folgten, ließ er Szczepanskis V-Mann-Führer R. G. und dessen verstorbenen Vorgesetzten Odendahl eine Erklärung unterschreiben, dass keine Gegenstände rechtswidrig in die Haft gelangt seien. Odendahl habe schnell unterschrieben, während R. G. zögerlich gewesen sei und sich mit der Unterschrift Zeit gelassen habe. Dies habe bei Förster zwar Misstrauen geweckt, für eine Entbindung oder gar Entlassung von R.G. hätte das aber nicht gereicht. Man hab auch mit dem Personal arbeiten müssen, welches dagewesen sei.
Generell habe Förster zur Führung von Szczepanski starke Bauchschmerzen gehabt. Ihm sei nach erster Prüfung aufgefallen, dass dessen Urteil wegen versuchten Mordes einen Rechtsfehler aufwies und der Verfassungsschutz, der Szczepanski die eigenmächtige Rücknahme empfohlen hatte, sei daher formell sogar für die Vereitelung einer erfolgreichen Revision verantwortlich gewesen. Die in einem Vermerk dokumentierte Entscheidung, Szczepanski in der Haft aus eigenem Abschöpfungsinteresse in der rechten Szene zu halten und ihm keinen Weg heraus zu zeigen, stieß bei den Abgeordneten auf Kritik. Förster, der dies mit seiner Paraphe abgezeichnet hatte, erwiderte hierzu, dass Szczepanski „im Leben nicht aussteigen“ wollte und die Entscheidung im Einzelfall daher zu vertreten gewesen sei.
Szczepanski war – das wollte auch der Zeuge Förster nicht anzweifeln – für den Brandenburger Verfassungsschutz eine sehr ergiebige und nachrichtenehrliche Quelle. Die Distanz zu V-Mann-Führer R. G., legendiert als „Sozialarbeiter Dieter Borchert“, habe nach Auffassung Försters aber nicht gestimmt. Als Beleg dafür kann gelten, dass Szczepanski sich faktisch als Mitarbeiter der Behörde sah und von sich aus seinem V-Mann-Führer immer wieder Vorschläge unterbreitete, über wen er Informationen gewinnen könne. Es sei daher Försters Entscheidung gewesen, mit Gordian Meyer-Plath einen zweiten Beamten zur Führung der Quelle „Piatto“ hinzuzuziehen.
Im September 1998 hielt der von uns bereits vernommene Auswerter für Rechtsterrorismus, Ackrath, in einem Vermerk fest, dass das untergetauchte Trio mit seinem von „Piatto“ berichteten Plänen für die Beschaffung von Waffen und „weitere Überfälle“ für eine Flucht nach Südafrika eine neue Qualität erreicht habe, die des Rechtsterrorismus. Ackrath warnte vor der Möglichkeit, dass die drei bei einem Scheitern des Überfalls von der Schusswaffe Gebrauch machen könnten und führte den Fall Kai Diesner an. Er empfahl mittelbar die Weitergabe von „Piattos“ Informationen direkt an die Polizei und adressierte seinen Vermerk zur Vorlage an Dr. Förster.
Als der dem Zeugen Förster der Vermerk in der Sitzung vorgelegt wurde, reagierte er entsetzt. Diesen Vermerk habe er nicht bekommen. Man könne sehen, dass die Zeile, mit der der Sachbearbeiter Ackrath eine Vorlage an ihn vorgeschlagen habe, mehrfach durchstrichen worden sei. Wenn er diese Informationen gekannt hätte, hätte er eine direkte Mitteilung der Polizei schon aus Eigenschutzgründen angeordnet. Gemäß § 17 BbgVerfSchG müssen solche Straftaten direkt an die zuständigen Staatsanwaltschaften gemeldet werden. Das Sammeln von Informationen habe keinen Eigenzweck.
Förster gab an, auch von dem Treffen der Landesämter Sachsen und Thüringen mit brandenburger Vertretern in Potsdam am 17.09.1998 nichts gewusst zu haben. Er sieht sich heute in seiner Sorge von damals bestätigt, dass seine Untergebenen die Bedenken gegen „Piatto“ nicht geteilt und an ihm vorbei gearbeitet hätten. Er habe damals sogar überlegt, anzuordnen, dass die V-Mannführer sich vor jedem Treffen mit Szczepanski dessen Urteil durchzulesen hätten. Gordion Meyer-Plath habe ihm in seiner Anhörung vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestages einmal ein „Unbehagen“ in Bezug auf den Fall „Piatto“ nachgesagt. Dies sei reiner Euphemismus gewesen.
Der Zeuge Förster hätte durch die Informationsweitergabe an Strafverfolgungsbehörden auch die Enttarnung von Szczepasnki riskiert. Es habe eine gesetzliche Pflicht bestanden. Er sei froh, dass nach seinem Wissen wenigstens die Landesämter für Verfassungsschutz in Sachsen und Thüringen sowie das BfV alle Informationen erhalten hätten und der Präsident des LKA Thüringen zumindest mündlich informiert worden sei. Er könne sich aber nicht erinnern, in Bezug auf eine direkte Information der Polizei oder Staatsanwaltschaft von seinem damaligen Stellvertreter und gleichzeitigem Chef der Abteilung Auswertung, Jörg Milbradt, mündlich informiert worden zu sein.
Für unsere Abgeordneten wurde nun klar, dass die Suche nach einem Versagen der Sicherheitsbehörden in Brandenburg einen entscheidenden Punkt erreicht hatte – wenn der Aktenvermerk von Ackrath eine direkte Information der Strafverfolgungsbehörden zur Folge gehabt hätte, ist mit der Unterdrückung des Vermerks eine Chance vergeben worden, die untergetauchten Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe zu finden noch bevor sie damit begannen, systematisch Menschen zu ermorden.
Wir nahmen uns vor, den Zeugen Milbradt bei seiner Vernehmung am nächsten Tag damit zu konfrontieren.