Erste Positionierung in flüchtlingspolitischen Fragen aufgrund des Kriegs in der Ukraine

Erste Positionierung in flüchtlingspolitischen Fragen aufgrund des Kriegs in der Ukraine

Stand: 1.3.2022

Nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine sind hunderttausende Menschen auf der Flucht. Viele versuchen in den Nachbarländern, Rumänien, Slowakei, Ungarn und Moldau Schutz zu suchen. Die Hauptlast der Fluchtbewegung wird jedoch voraussichtlich auf Polen liegen. Es ist zu erwarten, dass viele Geflüchtete nach Deutschland kommen. Wegen der Grenze zu Polen wird Brandenburg, wie schon bei der Fluchtbewegung über Belarus und Polen ein wichtiges Erstankunftsland sein.

Das Land Brandenburg hat erste Schritte zur Aufnahme der Kriegsflüchtlinge eingeleitet: die Erstaufnahmeeinrichtungen des  Landes sind auf eine erhöhte Flüchtlingszahl vorbereitet und die Landkreise und kreisfreien Städte sind aufgefordert, schnell Kapazitäten zu schaffen. Vielerorts organisieren Initiativen bereits Privatquartiere. Aufgrund der Kürze der Zeit konnten weitere Maßnahmen noch nicht ergriffen werden, die werden jedoch in den kommenden Wochen notwendig.

Dabei gibt es einige aufenthaltsrechtliche Rahmenbedingungen, die anders sind als bei den Fluchtbewegungen der vergangenen Jahre:

  • Ukrainische Staatsbürger können visumsfrei für 90 Tage in die EU einreisen, sofern sie einen biometrischen Pass besitzen. Dieses Erfordernis eines biometrischen Passes ist aktuell ausgesetzt, so dass eine legale Einreise zumindest für Personen mit Papieren jederzeit möglich ist.
  • Das BMI hat bekannt gegeben, dass im Anschluss an einen 90-tägigen visumsfreien Aufenthalt eine Aufenthaltserlaubnis für weitere 90 Tage unbürokratisch erteilt werden kann. Auch für Personen ohne biometrischen Pass mit eine 90-tägigen Besuchsvisum ist dies möglich.
  • Das Land Berlin hat eine Allgemeinverfügung zur Verlängerung auslaufender visumsfreier Aufenthalte bis mindestens 31.5.2022 erlassen. Aus anderen Ländern ist dies bisher nicht bekannt.
  • Für ukrainische Staatsbürger entfällt zumindest für die erste Zeit damit die Notwendigkeit einer Asylantragsstellung. Es ist jedoch zu erwarten, dass ein Teil Asylanträge stellt.
  • Ukrainische Personen, die sich legal in Deutschland aufhalten, können sich in bestimmten Fällen (bspw. zur Aufnahme eines Studiums, einer Arbeit oder wenn hier bereits Verwandte leben) um einen langfristigen Aufenthaltstitel bemühen. Die Bundesregierung hat hier bereits angekündigt, dass es Erleichterungen geben soll.
  • Von diesen Regelungen sind allerdings Personen aus der Ukraine, die im Asylverfahren sind oder nur eine Duldung haben, nicht direkt umfasst. Bislang wurden Asylverfahren von Antragsteller*innen aus der Ostukraine mit Verweis auf die Schutzmöglichkeit in der Westukraine meist abgelehnt. Diese Entscheidungspraxis wird absehbar geändert werden müssen.
  • Ausreisepflichtige Personen sind weiterhin ausreisepflichtig. Bisher sind keine anderweitigen Regelungen dazu bekannt.
  • Innenministerin Faeser hat angeregt, auf europäischer Ebene den Mechanismus des „vorübergehenden Schutzes“ in Gang zu setzen. Dieser vorübergehende Schutz gilt für alle EU-Mitgliedsländer und gilt zunächst für ein Jahr, kann jedoch verlängert werden. Bisher kam er noch nie zur Anwendung und es ist unklar, ob es eine Mehrheit im Europäischen Rat gibt.

Neben diesen aufenthaltsrechtlichen Rahmenbedingungen sind jedoch weitere Aspekte zur berücksichtigen:

  • Es wird sich bei den Geflüchteten sehr häufig um Frauen und Kinder handeln, da Männer zwischen 18 und 60 offiziell die Ukraine nicht verlassen dürfen.
  • Bisher ist nicht geklärt, welche Sozialleistungen den Geflüchteten aus der Ukraine zustehen.
  • Dublin-Rückführungen in die Hauptaufnahmeländer der Flüchtlingsbewegung und Rückführungen nach Russland sind aktuell nicht ausgesetzt!
  • Es wird eine weitere Gruppe Flüchtlinge geben: desertierte Soldaten.
  • Es häufen sich Berichte, nach denen bspw. in der Ukraine studierende afrikanische Menschen nicht nach Polen einreisen dürfen. Unklar ist bisher, wie mit Geflüchteten, die in der Ukraine aufhältig waren, aus anderen Ländern (darunter sind viele Afghanen, Syrer, Iraker) umgegangen wird. Auch hier gibt es erste Hinweise, dass diesen die Einreise verweigert wird.
  • Polen betreibt an der Grenze zu Belarus noch immer die Politik der Abschottung. Die dort teils seit Monaten im Wald festsitzenden Flüchtlinge werden noch immer nicht aufgenommen und es finden auch weiterhin illegale Pushbacks nach Belarus statt.

Daraus ergeben sich aus Sicht der Fraktion DIE LINKE im Brandenburger Landtag folgende Forderungen:

  • Sicherstellung einer unbürokratischen Aufnahme aller Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine, unabhängig von deren Staatsangehörigkeit. Dazu gehört auch die Aufnahme desertierter Soldaten.
  • Schneller Aufbau einer unabhängigen Beratungsstruktur in der Erstaufnahmeeinrichtung und in den Landkreisen und kreisfreien Städten, die die Geflüchteten aus der Ukraine in der spezifischen aufenthaltsrechtlichen Situation berät und unterstützt. Den Geflüchteten entstehen aufgrund der oben geschilderten aufenthaltsrechtlichen Besonderheiten Nachteile, wenn sie Asyl beantragen. Deshalb: Keine Asylantragstellung ohne vorherige unabhängige Beratung!
  • Aufbau eines Dolmetscher-Pools
  • Unbürokratische und schnelle finanzielle Unterstützung der Landkreise und kreisfreien Städte bei der Flüchtlingsaufnahme sowie der Städte und Gemeinden bei den Folgekosten
  • Unbürokratische finanzielle Regelungen für die private Unterbringung von Geflüchteten
  • Unbürokratische finanzielle Unterstützung der Geflüchteten und Ausstattung mit dem Notwendigsten, bis auf Bundesebene geklärt ist, welche Sozialleistungen den Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine zustehen.
  • Da es sich oftmals um Frauen mit Kindern, deren Väter in der Ukraine kämpfen, handelt, entstehen besondere Bedarfe bei der Unterbringung und Versorgung, denen Rechnung getragen werden muss. Das wird nicht sofort möglich sein, die Vorbereitung muss jedoch sofort beginnen. 
  • Erlass einer Allgemeinverfügung zur Verlängerung auslaufender visumsfreier Aufenthalte bzw. Aufenthalte mit 90-Tage-Visum bis mindestens 31.5.2022
  • Erlass des MIK für die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen für ausreisepflichtige Ukrainer*innen nach §23 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz
  • Erlass eines Abschiebestopps in die Russische Föderation und Belarus sowie Polen, Slowakei, Rumänien und Ungarn

Darüber hinaus fordern wir die Landesregierung auf, sich für Folgendes einzusetzen:

  • Offene Fluchtwege für alle! Die Fluchtwege aus der Ukraine heraus müssen von den Nachbarländern so lange wie möglich offengehalten werden und müssen auch für Menschen offen sein, die nicht die ukrainische Staatsbürgerschaft haben. Also auch für ausländische Arbeitskräfte und Studierende sowie für Geflüchtete im Transit.
  • Unterstützung der Hauptaufnahmeländer durch die EU bei der Aufnahme der Geflüchteten. Auch für die Republik Moldau, die nicht Mitglied der EU ist, braucht es unbürokratische Unterstützung.
  • Es braucht einen Mechanismus der Verteilung der Geflüchteten auf die Staaten der EU. Das Dublin-Abkommen darf hier keine Anwendung finden. Eine Weiterreise zu bereits in der EU lebenden Freunden und Bekannten und auch unter Berücksichtigung vorhandener Sprachkenntnisse und Bedürfnisse muss unbürokratisch möglich sein.
  • Polen muss die Abschottung an der Grenze zu Belarus beenden und die illegalen Pushbacks einstellen. Die dort im Wald ausharrenden Menschen müssen sofort evakuiert und in der EU humanitär aufgenommen werden.
  • Der Vorschlag von Innenministerin Faeser, den Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine europaweit vorübergehenden Schutz gemäß Art. 5 Richtlinie 2001/55/EG ist auf allen Ebenen zu unterstützen und voranzutreiben. Dies würde bedeuten, dass den Geflüchteten ein humanitärer Aufenthaltsstatus nach §24 Aufenthaltsgesetz für bis zu drei Jahre erteilt werden kann, ohne dass ein Asylantrag gestellt werden muss.
  • Es braucht eine schnelle Klärung des Bunds, welche Sozialleistungen Geflüchteten aus der Ukraine zustehen.
  • Der Bund muss für Geflüchtete aus dem Kriegsgebiet eine generelle Arbeitserlaubnis erteilen.
  • Es braucht finanzielle Unterstützung des Bundes für die Länder bei der Unterbringung und Versorgung der Geflüchteten.