Rede im Landtag zum Bericht der Landesregierung zum geplanten Aufnahmeprogramm für Yeziden aus dem Nordirak
Heute fand im Landtag eine Debatte zum Bericht der Landesregierung zur Umsetzung des Landtagsbeschlusses „Humanitäre Hilfe für besonders schutzbedürftige Yezidinnen und Yeziden des Irak“ statt. Bündnis 90/Die Grünen, SPD und DIE LINKE haben dazu einen Entschließungsantrag vorgelegt.
Mein Redeskript ist unten dokumentiert. Außerdem findet sich hier der Videomitschnitt der Rede.
„Auch mir geht die bisherige Umsetzung viel zu langsam. Bei diesem Thema, das für manche nur eines von vielen, für die Opfergruppe aber oftmals die einzige Chance zum Überleben ist, muss ein anderes Tempo angeschlagen werden. Wir haben im Dezember vergangenen Jahres, mit unserem einstimmigen Beschluss, große Hoffnungen bei den Opfern geweckt. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht. „Es gibt wieder Hoffnung, wir sind nicht vergessen“. Diese Hoffnung weicht inzwischen einer Lethargie, dass ihre Schicksale der Welt, trotz aller Bekundungen doch egal sind. Und ich sage Ihnen, die Notwendigkeit der Aufnahme ist heute nicht geringer als vor einem Jahr. Ich war in diesem Jahr zwei Mal vor Ort im Nordirak und ich habe Frauen und Mädchen kennen gelernt, über die wir hier reden. Ich habe ein Mädchen im Arm gehalten, das wenige Tage vorher von ihren Peinigern bei der Widereroberung von Mossul befreit wurde, ein Mädchen, das hunderte Mal vergewaltigt und geschändet wurde. Ich sage Ihnen: Unser Aufnahmeprogramm ist notwendig und es wird Zeit, dass wir endlich beginnen. In gewisser Weise hat sich die Lage sogar noch zugespitzt. Einige der Frauen und Mädchen, die sehr lange in den Händen des IS waren, sind schwanger von ihren Peinigern oder haben bereits entbunden. Für diese Frauen ist die Lage extrem prekär, da nach yezidischer Tradition und der Gesetzgebung im Irak, diese Kinder keine Yeziden sind. Ihnen bleibt nur, die Gemeinschaft zu verlassen oder die Kinder abzugeben. Wenn man kurz in sich geht, wird man spüren, wie furchtbar ein solches Schicksal ist und ich hoffe sehr, dass wir diesen Frauen und Mädchen so schnell wie möglich eine Aufnahme in Brandenburg ermöglichen.
Bei aller Kritik bin ich froh, dass endlich konkrete Schritte eingeleitet werden. Mit dem vorliegenden Entschließungsantrag wird betont, dass der Landtag erwartet, dass die Landesregierung weiterhin und intensiver als bisher daran arbeitet, dass das Aufnahmekontingent für Opfer des IS aus dem Nordirak realisiert wird und sie weiterhin daran arbeitet, andere Bundesländer zu finden, die sich beteiligen. Und ich bin guter Hoffnung, dass dies tatsächlich gelingt, da kann übrigens jede Fraktion ihren Beitrag leisten, indem sie auf Parteifreunde in anderen Bundesländern einwirkt,
Nun ist ein sehr seltsamer Streit entstanden. Im ersten Schritt schlägt die Landesregierung vor, Opfer des IS, die derzeit in Griechenland sind, aufzunehmen. Ich will betonen: Nicht der mangelnde Wille der Landesregierung macht es schwierig, sofort die Aufnahme direkt aus dem Nordirak zu realisieren, sondern die Vorgaben des Auswärtigen Amtes, und ich kann zumindest nachvollziehen, dass die Landesregierung bei der aktuellen Sicherheitslage nach dem Unabhängigkeitsreferendum skeptisch ist, Vertreter des Landes in den Nordirak zu schicken.
Die Landesregierung nutzt dies aber nun gerade nicht, dem Landtag mitzuteilen, dass das Programm gar nicht oder erst später realisiert werden kann, sondern sie macht einen konkreten und praktikablen Vorschlag, wie begonnen werden kann.
Und da will ich betonen: Allein der erste Baustein, 40 Frauen und ihre minderjährigen Angehörigen aus Griechenland zu holen, bedeutet, dass Brandenburg das zweitgrößte Sonderaufnahme-Programm in Deutschland für Opfer des IS realisiert.
Wir alle kennen die Berichte über das Dahinvegetieren auf den griechischen Inseln. Was aber geht in einer Frau vor, die nach unzähligen Gräueltaten, Vergewaltigungen, Schlägen, Demütigungen wieder in Freiheit kam? Die im Nordirak zigfach gynäkologisch untersucht wurde, fremden Menschen – die Hilfe versprachen – immer wieder ihre Geschichte erzählen musste, um dann festzustellen; es gibt kein Programm, dass sie aufnimmt. Wie viel Kraft kostet es sie, sich auf den Weg zu machen, über die Türkei, mit einem Schlauchboot über das Mittelmeer, um abschließend in Griechenland in einem ungeheizten Zelt dahin zu vegetieren. Ohne Ärzte, Medikamente oder gar Psychologen, alleine mit den Albträumen die jede Nacht wiederkommen. Zusammen in einem Lager mit zig Ethnien und Religionen, fernab der Heimat und mutterseelenallein und die Rückschiebung in die Türkei als permanente Drohung im Kopf. Man mag meinen, das Mädchen ist in Sicherheit, da muss man nichts mehr tun. Ich sage klar, nein, lassen Sie uns nicht in die Falle tappen und Opfergruppen gegeneinander ausspielen. Ich bin froh, über jedes Mädchen, jede Frau, der wir hier helfen können. Lassen Sie es uns anpacken. Endlich.
Und deshalb werden wir auch keiner Überweisung zustimmen. Worte sind genug gewechselt. Wir werden jetzt Taten sehen!“
Gute Rede. Neruda hätte von “brennender Geduld“ gesprochen. Mach Dampf, liebe Andrea.