Rede zum Antrag der Freien Wähler „Bürgerschaftliche Mitbestimmung ermöglichen und tatsächlich leben, statt nur an hohen Feiertagen loben“
RDie Freien Wähler haben einen Antrag „Bürgerschaftliche Mitbestimmung ermöglichen und tatsächlich leben, statt nur an hohen Feiertagen loben“ gestellt.
Mein Redebeitrag dazu ist hier als Video verfügbar.
Außerdem dokumentiere ich den Text hier zitiert nach der vorläufigen stenografischen Niederschrift:
„Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Schaller, eigentlich wollte ich Ihren Schmerz, dass Sie Anlass dieses Antrags waren, jetzt ein bisschen lindern, indem ich Ihnen sage, dass ich mich immer freue, wenn wir beide während einer Debatte reden. Aber Herr Vida hat das schon mit der Kurzintervention weggemacht.
Fast hätte ich etwas vermisst – wir haben schon lange nicht mehr über Erschließungsbeiträge geredet. Dieser Antrag ist offenbar auf die Abschaffung oder Ausdünnung des § 15 der Kommunalverfassung gerichtet. In Absatz 5 ist festgelegt, zu welchen Themen Bürgerentscheide nicht durchgeführt werden können, beispielsweise zu Gemeindeabgaben, kommunalen Umlagen, Tarifen kommunaler Einrichtungen und Tarifen der Versorgungs- und Verkehrsbetriebe der Gemeinde.
Sie wollen nun festlegen, dass Bürgerbegehren, mit denen angestrebt wird, Anwohnern gemeindlicher Anliegerstraßen bei der Durchführung von Erschließungsmaßnahmen ein verbindliches Mitbestimmungsrecht zu geben, grundsätzlich als zulässig anzusehen sind. Wir als Linke setzen uns seit Jahren dafür ein, diesen sogenannten Negativkatalog in der Kommunalverfassung – also die Tatbestände, zu denen keine Bürgerbegehren stattfinden können -, zu kürzen. Nach unserer Auffassung sind unter anderem die Aufstellung, Änderung und Aufhebung von Bauleitplänen, Entscheidungen nach § 36 des Baugesetzbuches und Angelegenheiten, über die im Rahmen eines Planfeststellungsverfahrens oder eines förmlichen Verwaltungsverfahrens zu entscheiden ist, aus diesem Katalog zu streichen.
Derzeit erarbeitet das Innenministerium einen Gesetzesvorschlag für eine neue Kommunalverfassung, der den Landtag hoffentlich im Sommer erreichen wird. Wir sind der Meinung, dass dieser Negativkatalog ausgedünnt werden kann und sollte, und deshalb gehört diese Diskussion hier in die Debatte über die Neufassung der Kommunalverfassung. Ich gehe davon aus, dass wir uns ausführlich mit der Frage befassen werden, zu welchen Themen Bürgerbegehren künftig zulässig sind und zu welchen nicht.
Meine Damen und Herren, wir als Linke denken, dass solche Mitbestimmungsrechte gerade in Fragen von Erschließungen richtig und wichtig sind, denn schließlich sind es die Anwohnenden, die den Großteil der finanziellen Lasten zu stemmen haben. Allerdings ist es nach unserem Verständnis nicht wirklich zielführend, eine alleinige Abhängigkeit solcher Maßnahmen in den Willen der Anlieger zu stellen. Das habe ich bereits im Dezember hier in der Debatte schon einmal ausgeführt. Aus unserer Sicht muss ein Letztentscheidungsrecht bei der Vertretung verbleiben, die sich mit den Argumenten und dem Ergebnis einer solchen Bürgerbefragung auseinanderzusetzen hat.
Meine Damen und Herren, als Linke haben wir im Zusammenhang mit Erschließungsbeiträgen vor allem zu den Sandpisten immer wieder eine stärkere Beteiligung der Anwohnerinnen und Anwohner sowie Grundstückseigentümerinnen und Grundstückseigentümer vor der Realisierung von Erschließungsmaßnahmen gefordert. Wir haben außerdem gefordert, dass Vorschläge erarbeitet werden, wie die Kommunen mit den Anwohnerinnen und Anwohnern gemeinsam zu Ausbaustandards für die tatsächlichen Erfordernisse vor Ort gelangen können. Auch haben wir einen Härtefallfonds gefordert, mit dem drohende Grundstücksverluste wegen zu hoher Erschließungsbeitragskosten bei zu geringem Einkommen oder Vermögen verhindert werden können – insbesondere, wenn diese Maßnahmen erst nach Jahrzehnten realisiert werden sollen. Letzteres hat nach unserer Auffassung in Zeiten explodierender Baukosten eine besondere Bedeutung bekommen.
Eines gebe ich aber zu bedenken: Im gesamten Speckgürtel gab es in den vergangenen Jahren viele Neubauten – teilweise auf nachträglich geteilten Grundstücken, teilweise auf neuen Baugrundstücken. Warum sollte die Allgemeinheit diese Kosten nunmehr vollständig übernehmen? Erschließungsbeiträge werden für Straßen verwendet, die für die Grundstückseigentümer gebaut werden, und da die Kommune im Sinne einer gemeindlichen Entwicklung mindestens 10 % der Kosten trägt, kann die Allgemeinheit sie auch nutzen. Sie können sich die Gegenfrage stellen: Wenn diese Straße nicht da wäre, wenn sie beispielsweise vollständig gesperrt würde, wie wären dann die anliegenden Grundstücke zu erreichen? Dabei geht es doch auch um Beitragsgerechtigkeit. Warum sollte die Allgemeinheit diese Kosten übernehmen? Auch die Verwaltungsgerichte akzeptieren meines Wissens bei Erschließungsbeiträgen keinen geringeren Beitragssatz der Anwohnenden als 75 %. Warum? Weil es keinen Grund gibt, diese Kosten der Allgemeinheit überzuhelfen, egal womit, ob per Beitragssatzung oder Bürgerentscheid.
Meine Damen und Herren, wir lehnen heute hier Ihren Antrag ab. Ich freue mich allerdings auf die Debatte zur Kommunalverfassung, wo wir sehr intensiv darüber reden werden, zu welchen Themen künftig Bürgerbegehren stattfinden können und wozu nicht. – Herzlichen Dank.“