Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Brandenburg

Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Brandenburg

Die Ferien lassen aktuell etwas mehr Zeit als sonst, um ein paar Themen für Interessierte aufzuarbeiten. Ich will versuchen in den kommenden Tagen zu weiteren Themen der Flüchtlingspolitik ein paar Informationen zusammen zu stellen, die für in der Flüchtlingsarbeit Tätige und KommunalpolitikerInnen interessant und wichtig sind.

Hier soll es um die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge (umF) bzw. die ungeleiteten minderjährigen Ausländer (umA), wie sie nach der Gesetzesänderung aus dem vergangenen Jahr jetzt offiziell heißen, gehen. Ich bleibe allerdings bei der „alten“ Formulierung, weil sie schlicht die richtige Bezeichnung ist: Es sind Flüchtlinge, die ohne Erziehungs- bzw. Sorgeberechtigte nach Deutschland gekommen sind. Aktuell werden in der Fachdebatte und der Öffentlichkeit beide Formulierungen verwendet, es handelt sich jedoch grundsätzlich um den gleichen Personenkreis.

Unbegleitete Minderjährige unterliegen grundsätzlich dem Kinder- und Jugendhilfegesetz, das heißt für sie ist die Jugenhilfe zuständig, weshalb sich für sie ein anderer Rechtsrahmen ergibt als bspw. für begleitete Kinder und Jugendliche. Aufenthaltsrechtliche aber auch asylverfahrensrechtliche Bestimmungen gelten für sie auch, jedoch gibt es da einige Unterschiede und Einschränkungen. Zum 1.11.2015 wurde das SGB VIII bezüglich der umF geändert.  Setdem werden die umF nach dem Königsteiner Schlüssel (der auch für alle anderen Geflüchtete gilt) bundesweit umverteilt. Als LINKE haben wir diese Neuregelung kritisiert, da das vorherige Verfahren, nach dem das Jugendamt zuständig war, in dessen Zuständigkeitsbereich die Kinder und Jugendlichen zum ersten Mal angetroffen wurden, für das Kindeswohl sehr viel förderlicher war. Eine Handreichung zur Neuregelung des Verteilverfahrens gibt es hier. Die Umverteilung hat zur Folge, dass Länder – wie bspw. Brandenburg – die bisher eher wenige umF aufgenommen haben, mit deutlich mehr Kindern und Jugendlichen zu tun haben als in den vorangegangenen Zeiträumen. Bis 2015 wurden umF in Brandenburg vor allem im Landkreis Oder-Spree aufgenommen, da hier mit dem alreju eine spezialisierte Kinder- und Jugendhilfeeinichtung zur Verfügung stand. Alle anderen Landkreise standen deshalb Ende des vergangenen Jahres vor der Aufgabe, sehr schnell geeignete Einrichtungen aufzubauen. Den gesetzlichen Rahmen dafür haben wir im Land Brandenburg mit dem Ausführungsgesetz zum SGB VIII geschaffen. (Dazu gibt es auch hier einen Blogbeitrag.)

Anfangs gab es bei der bundesweiten Verteilung der Kinder und Jugendlichen einige Schwierigkeiten, aktuell scheint das Verfahren – auch aufgrund der gesunkenen Fallzahlen – weitgehend zu funktionieren. Und auch die Landkreise und kreisfreien Städte in Brandenburg haben sich auf die Situation eingestellt und funktionierende Strukturen aufgebaut.

Die diversen Asylrechtsverschärfungen und die Neuregelung des Aufenthatsrechts sowie der Regelungen zur Integration der vergangenen Monate haben auch Auswirkungen auf die umF. Einen guten Überblick zu den umF betreffenden rechtlichen Neuerungen gibt eine Zusammenstellung des Bundesfachverbands unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, die ich zum Weiterlesen empfehle.

 

Das Verfahren zur Aufname von umF ist kurz gefasst wie folgt:

Wird ein unbegleiteter minderjähriger Flüchtling angetroffen, erfolgt eine vorläufige Inobhutnahme durch das zuständige Jugendamt. Im Rahmen dieser vorläufigen Inobhutname prüft das Jugendamt, ob das Wohl des Kindes bzw. des Jugendlichen durch eine Umverteilung gefährdet wäre oder es bspw. gesundheitliche Gründe gibt, die einer Umverteilung entgegen stehen, ob Verwandte in Deutschland leben, ob es weitere familiäre oder freundschaftliche Bindungen (bspw. zu Kindern und Jugendlichen, mit denen sie gemeinsam auf der Flucht waren) gibt und es wird eine Alterseinschätzung vorgenommen. Wenn keine Gründe gegen eine Umverteilung sprechen, meldet das Jugendamt das Kind bzw. den Jugendlichen zur Verteilung an. Die vorläufige Inobhutname endet mit der Übergabe des Kindes bzw. Jugendlichen an die Eltern oder andere Personensorgeberechtigte, mit der Verteilung an das nun zuständige Jugendamt, durch Fristablauf (dann bleibt das vorläufig in Obhut nehmende Jugendamt zuständig) bzw. durch Feststellung der Volljährigkeit.

Nun erfolgt die Inobhutname durch das nun zuständige Jugendamt und es ist durch das Familiengericht auf Vorschlag des Jugendamts ein Vormund zu bestellen. Grundsätzlich hat eine Einzelvormundschaft Vorrang vor einer Vereins- oder Amtsvormundschaft. In der Praxis zeigt sich jedoch, dass die Jugendämter in Brandenburg in der Regel keine Einzelvormundschaften vorschlagen sondern vorrangig auf die Amtsvormundschaft setzen (nur ca. 2% der umF in Brandenburg haben einen Einzelvormund), was aus fachlicher Sicht durchaus als problematisch anzusehen ist, da die Einzelvormundschaft den Vorteil hat, dass zwischen Vormund und Kind bzw. Jugendlichem eine engere Bindung entstehen kann.

Das Jugendamt hat außerdem nach der Inobhutnahme das Clearingverfahren durchzuführen. Dazu sind die unbegleiteten Minderjährigen in speziellen Clearingeinrichtungen unterzubringen. Das Clearingverfahren dient der umfassenden Klärung der Situation und der Perspektiven des Kindes bzw. Jugendlichen. Dazu erfolgen die Klärung der Identität, die Altersfeststellung, gesundheitliche Situation, mögliche Familienzusammenführung, individuelle Zukunftsaussichten und die Feststellung von Hilfebedarfen. Außerdem erfolgt eine Klärung des aufenthatsrechtlichen Status. Während des Clearingverfahrens ruht die Schulpflicht, allerdings sind die Träger gehalten, geeignete Sprachkurse vorzuhalten.

Nach dem Clearingverfahren – das in der Regel ca. drei Monate dauert – erfolgt die Unterbringung in einer geeigneten Jugendhilfeeinrichtung oder anderen geeigneten Einrichtung oder auch in einer Pflegefamilie. Problematisch ist, dass ein Teil der Kinder und Jugendlichen (ca. 22%) in Brandenburg aktuell in regulären Gemeinschaftsunterkünften für Asylsuchende untergebracht sind. Dies mag zum Teil mit der gemeinsamen Unterbringung bspw. entfernter Verwandter zu tun haben, ist jedoch fachlich problematisch, weil hier die notwendige Betreuung und Versorgung nicht immer gewährleistet werden kann. Es ist zu beobachten, dass der Anteil der in Gemeinschaftsunterkünften untergebrachten Kinder und Jugendlichen in einzelnen Gebitskörperschaften (bspw. Frankfurt (Oder)) überdruchschnittlich hoch ist.

Für die Kinder und Jugendlichen steht das gesamte Instrumentaium der Jugendhilfe zur Verfügung. Dazu gehören auch Hilfen für junge Volljährige nach Vollendung des 18. Lebensjahrs. Aktuell ist eines der Probleme, die zu beobachten sind, dass ein Teil der Jugendämter nahezu keinen Gebrauch von diesen Hilfen für junge Volljährige machen und die Jugendliche direkt nach Vollendung des 18. Lebensjahrs faktisch auf sich allein gestellt sind.

 

Die letzte Erhebung durch das Jugendministerium zur Situation unbegleteter Minderjähriger in Brandenburg fand zum Stichtag 1.2.2016 statt. Die folgenden Zahlen beziehen sich in der Regel auf diesen Stichtag. Zum Weiterlesen geht es hier zum Bericht des Ministeriums zu dieser Datenerhebung. Zu diesem Stichtag lag die Verantwortung für 1393 unbegleitete Minderjährige bei den Jugendämtern im Land Brandenburg. Sie sind einerseits über den sogenannten „Deutschlandausgleich“ nach Brandenburg gekommen, andere wurden in Gemeinschaftsunterkünften oder der Erstaufnahme in Obhut genommen bzw. sind sogenannte „Selbstmelder“. Auch innerhalb des Landes wird umverteilt. Dies erfolgt in der Regel in einem kooperativen Verfahren, es wird also geschaut, in welchem Landkreis die Bedingungen für die jeweiligen Kinder und Jugendlichen am besten sind. Bspw. existieren in einzelnen Gebietskörperschaften Einrichtungen speziell für Mädchen, was bei der Umverteilung berücksichtigt wird.

Die Kinder und Jugendlichen stammen zu einem großen Teil (mehr als zwei Drittel) aus Syrien und Afghanistan. Mehr als 90% sind männlich, ca. zwei Drittel sind 16 oder 17, etwas mehr als ein Viertel ist 13 bis 15 Jahre alt. Ca. 5% sind jünger.

Zwischen 1.11.2015 und 1.2.2016 wurden 284 Hilfen beendet. Bei ca. 38% wurden die Hilfen regulär durch das Erreichen der Volljährigkeit beendet. Mehr als die Hälfte dieser Beendigungen entstand durch „Abgängigkeit“, das heißt die Kinder und Jugendlichen sind verschwunden bzw. ihr Aufenthaltsort ist unbekannt. Ca. die Hälfte davon war „abgängig“ bevor sie an das zuständige Jugendamt verteilt wurden. Ein weiteres Viertel entschied sich nach der Ankunft für eine eigenverantwortliche „Abreise“. Dies dürften vor allem Jugendliche sein, die sich bewusst einen anderen Aufenthaltsort gesucht haben. Dies ist ein relevantes Problem, dem jedoch nur schwer bei zu kommen ist. Jugendliche, die eine lange Flucht hinter sich haben, wird man kaum daran hindern können, eine Einrichtung, in der sie nicht sein wollen, zu verlassen und sich bspw. auf den Weg in eine größere Stadt zu machen. Allerdings ist interessant, dass bei einigenLandkreisen (bspw. Barnim und Märkisch-Oderland) die Zahl der Abgänge überdurchschnittlich hoch ist. Hierfür braucht es eine vertiefte Ursachenanalyse.

Zusammenfassend schätze ich ein, dass die Unterbringung und Versorgung sowie die Begleitung durch die Jugendhilfe im Land Brandenburg auch nach der deutlichen Fallzahlerhöhung sehr gut läuft. Einzelne Probleme bedürfen jedoch der (auch politischen) Bearbeitung im Land bzw. in den einzelnen Gebietskörperschaften. Das sind aus meiner Sicht:

  • geringe Anzahl der Bestellung von Einzelvormündern
  • Hohe Unterbringungsquote in Gemeinschaftsunterkünften (vor allem in einigen Gebietskörperschaften)
  • geringe Gewährung von Hilfen für junge Volljährige in einigen Gebietskörperschaften

Hinzu kommen Probleme vor allem durch den Fachkräftemangel im sozialen Bereich, der jedoch nicht nur spezifisch die Arbeit mit unbegleiteten Minderjährigen betrifft.

Wer sich noch ein wenig tiefer gehend mit der Materie und den genauen Abläufen beschäftigen will, dem empfehle ich eine Handreichung des Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport zur Unterbringung, Versorgung und Betreuung unbegleiteter Minderjähriger in Brandenburg.