Situation der Minderheiten im Nordirak - Reise in die Autonome Region Kurdistan - Reisetagebuch

Situation der Minderheiten im Nordirak – Reise in die Autonome Region Kurdistan – Reisetagebuch

Bereits im  Jahr 2017 bin ich zwei Mal in die Autonome Region Kurdistan gereist. Dazu gab es ausführliche Reisetagebücher hier im Blog, auf die ich verweisen möchte: April 2017 und Juli 2017. Nun ergab sich angesichts der Weihung der St. Jakobs-Kirche in Telskof am 22.12. ein Anlass, erneut nach Kurdistan zu reisen. Diese Kirche wurde mit mehr als 700.000 Euro Spendengelder, die das Menschenrechtszentrum Cottbus gesammelt hat, saniert und ich fand es wichtig, diesen Akt der Solidarität mit der christlichen Minderheit im Nordirak zu würdigen und deshalb dabei zu sein, wenn die Kirche den Gäubigen übergeben wird. Gleichzeitig war dies aber auch die Chance, sich 2 1/2 Jahre nach der letzten Reise erneut ein Bild über die Lage der Minderheiten in der Region zu machen.

Glücklicherweise fanden sich Mitstreiter*innen, die ebenfalls ein Interesse hatten, eine solche Reise zu unternehmen. Mein lieber Freund (und der beste Kenner der Yezid*innen, der mir bisher begegnet ist), Holger Geisler, war sofort bereit, sich an der Organisation und bei der Suche nach weiteren Mitreisenden zu beteiligen und so ware wir eine „bunte Truppe“, sich sich am 17. Dezember auf den Weg machte. Neben Holger gehörten zum Team Anja Mayer (Landesvorsitzende der LINKEN Brandenburg), Matthias Hofmann (Autor des Buches „Kurdistan von Anfang an“ und Aktivist in allerlei die Kurden betreffenden Fragen), Sozan Babasheik (in Niedersachen lebende Yezidin, die wegen eines Trauerfalls bereits einige Zeit vor uns in den Nordirak gereist ist, sie war unsere Quartiergeberin und hat uns so manche Tür geöffnet, außerdem ist sie eine tolle Übersetzerin), Bezan und Elena (Mutter und Tochter, Yezidinnen, die sich in Niedersachsen für die yezidische Sache engagieren) sowie Ömer und Ahmed (Yeziden aus NRW, die sich dort in eine yezdischen Verein engagieren). Eine wirklich großartige Truppe und da es sehr viele „Sprachbegabte“ in der Gruppe gab, hatten wir auch keinerlei Übersetzungsprobleme.

Wichtig war uns bei der Reise, möglichst viel vom „richtigen“ Leben vor allem in den Flüchtlingscamps zu sehen, mit den betroffenen Menschen zu sprechen und zu helfen, wo es möglich ist. Insofern wird der Leser merken, dass es sehr viel weniger „offizielle“ Gespräche gab als bei den vorangegangenen Reisen.

Ich danke allen Mitreisenden (hier vor alem Sozam und Holger für die großartige Organisation), unseren Gesprächspartner*innen, die unsere Fragen beantwortet und unsere Angregungen aufgenommen haben, denen, die uns zum Essen eingeladen haben, die uns ihre Geschichten erzählt haben und denen, uns bei den Hilfsaktionen geholfen haben. Es war eine spannende Reise, ich habe irre viel gelernt und – auch wenn es manchmal sehr sehr traurig war – hatten wir eine gute Zeit miteinander in diesen krisengeschüttelten  Region.

Ich habe bereits hier im Blog ein Interview veröffentlicht, das ich direkt nach der Reise dem freien Journalisten Benjamin Lassiwe gegeben habe, in diesem finden sich erste politische Schlussfolgerungen. Es ist hier nachzulesen.

 

Aber nun zum ausführlichen Reisebericht:

Tag 1, 17. Dezember 2019:

Am Abend des 16. Dezember machten wir uns auf den Weg zum Flughafen in Düsseldorf, da wir gemeinsam mit den anderem Mitreisenden anreisen wollten. Der Flug ging morgens um 8 Uhr und wir sind planmäßig gegen 14 Uhr in Erbil angekommen (2 Stunden Zeitverschiebung eingerechnet). Danach ging es in Autos auf der sogenannten Todesstrecke (das meint nur die katastrophale Straße, den Verkehr und das Verhalten der Verkehrsteilnehmer) Richtung Sheika, wo wir während der Reise im Haus der Familie von Sozan übernachtet haben. Sheika ist ein kleiner Ort im Distrikt Dohuk, nicht weit von Alqosh und Ba´adre.

Hier ist die ganze Reisegruppe zu sehen von hinten nach vorn: Ömer und Matthias, Sozan und Anja, Holger und ich. Ahmed und Bezan, der Onkel von Bozan (der uns dankenswerterweise immer gefahren hat) und Elena.

Auf dem Weg dorthin noch ein Zwischenstopp in einem Restaurant mit unfassbar gutem Essen und abends haben wir alle gemeinsam die Planung der kommenden Tage gemacht. Mehr ging nicht und nach 36 Stunden auf den Beinen bin ich dann nur noch zum Schlafen umgefallen.

 

 

Tag 2, 18. Dezember 2019:

Sehr sehr früh aufgestanden, da wir genau zu den wichtigsten Feiertagen der Yezid*innen in der Region waren und zu diesen gefastet wird. Das heißt, zwischen Sonnenaufgang und -untergang wird nichts gegessen. Und was macht man da? Genau: Frühstück um 4.30 Uhr morgens. Und da wir mit Yezid*innen reisten, war also auch bei uns sehr frühes Frühstück angesagt. Ich bin allerdings erst gegen 5.30 Uhr wach geworden als die meisten gerade wieder ins Bett gingen. Dafür gab es aber einen großartigen Sonnenaufgang zu sehen.

Und diejenigen, dann dann ebenfalls wach waren und blieben, machten sich zu einem morgendlichen Spaziergang durch den Ort auf.

Danach besuchten wir zwei Flüchtlings-Camps. In der Autonomen Region Kurdistan leben ca. 5 Millionen Menschen, hinzu kommen ca. 600.000 Flüchtlinge. Das ist zumindest die Zahl, die wir immer wieder gehört haben. Ich fürchte jedoch, dass diese Zahl viel zu niedrig ist, da auf einer Tafel im Khanky-Camp, auf dem die Flüchtlings-Camps im Distrikt Dohuk – es gibt auch noch den Distrikt Erbil – verzeichnet sind, bereits die Rede von 738.000 Menschen ist. Auf der Tafel sind die Geflüchteten in Displaced Persons und Refugees unterteilt – das meint Binnenflüchtlinge und Flüchtlinge aus anderen Ländern. Möglicherweise kommt daher auch die Diskepanz bei bei den angegebenen Zahlen. Dort ist die Rede davon, dass 35% der Bevölkerung Refugees und Dispalced Persons sind. Wenn man das hoch rechnet, dürften wir über mindestens 1,5 Millionen Menschen im Nordirak reden, die nicht in ihrer Heimat leben (können) sondern flüchten mussten (unabhängig davon, ob sie nun innerhalb des Landes geflüchtet sind oder aus angrenzenden Staaten stammen).

Die Geflüchteten kommen vor allem aus den Gebieten im Nordirak, die vom IS besetzt waren, anderen Teilen des Iraks, aber auch aus Syrien. Gerade nach dem völkerrechtswidrigen Einmarsch der Türkei in Rojava/Syrien sind viele weitere Flüchtlinge dazu gekommen. Die Geflüchtetem leben meist in sehr großen Flüchtlings-Camps, viele sind jedoch auch in Städten und Dörfern der Region untergekommen. Die Flüchtlinge in den Camps erhalten ein wenig staatliche Unterstützung, die Menschen außerhalb der Camps bekommen nichts. In der Region sind diverse Hilfsorganisationen tätig, allerdings ist die Hilfe rückläufig.

Das erste Camp, das wir besuchten ist das Khanky-Camp. Hier leben ca. 15.000 Yezid*innen aus dem Shingal-Gebirge. Im Shingal fand 2014 der Völkermord an den Yezid*innen statt. Da es bis heute dort keinen dauerhaften Schutz gibt, können die Menschen nicht zurück kehren.

Im Camp gibt es Schulen und einen Kindergarten, allerdings reichen die Gebäude nciht aus, weshalb die Beschulung in 11 Schichten die Woche über verteilt stattfindet und jedes Kind nur drei Tage zur Schule geht. Der Campleiter sagte uns, dass er sich große Sorgen mache, weil ein Teil der Hilfsorganisationen zum Jahresende Projekte einstellt. Die Projekte geben in der Regel einigen Menschen Arbeit, was dann auch noch wegbricht.

Im Camp trafen wir auf einige Familien, denen es richtig, richtig schlecht geht. Es fehlen insgesamt Arbeit und Perspektive. Wenn jedoch noch Krankheiten dazu kommen, wird es richtig schwer, zumal nur ein Teil der medizinischen Versorgung durch den Staat bezahlt wird, Fahrten zum Arzt, Medikamente und auch einige Behandlungen müssen privat gezahlt werden. Zu bitterer Armut kommt dann noch die Sorge, die medizinische Versorgung der Angehörigen nicht bezahlen zu können. Ich erspare euch die Einzelheiten, die Begegnungen waren sehr traurig und ob wir helfen können, wird sich zeigen. Diese Besuche haben jedoch gezeigt, dass es gerade bei der gesundheitlichen Versorgung grundsätzliche Probleme gibt, die wir leider nicht in Rahmen einer solchen Reise lösen werden. Wir werden das aber bei Gesprächen, die noch anstehen, thematisieren.

Der zweite Besuch galt dem Esyan-Camp in Ba ádre. Dieses Camp, in dem ebenfalls ca. 15.000 Yezid*innen aus dem Shingal leben, habe ich bereits 2017 besucht und mit dem Campleiter Diyar Shekhany auch immer mal wieder Kontakt gehabt. Diyar machte deutlich, dass das größte Problem ist, dass die Menschen mittlerweile seit mehr als fünf Jahren im Camp leben und dies mit zunehmenden psychischen Problemen einher geht. Perspektiven gäbe es vor Ort nicht, nur 15 Familien seien zwischenzeitlich in den Shingal zurückgekehrt, ein Teil ist durch die Aufnahmeprogramme von Deutschland (hier vor allem Baden-Württemberg) und Australien aus den Camps heraus gekommen. Aktuell kommen teilweise Familien in das Camp, die bisher in Rohbauten gelebt haben.

Auch er betonte, dass es wichtig sei, dass die Menschen eine Perspektive bekämen. Vor allem fehle es an Arbeit. Und auch er erzählte, dass ein Teil der Projekte der Hilfsorganisationen zum Jahresende auslaufen und es bisher keine Anschlussprogramme gibt.

Da es schon recht spät war, waren wir nicht mehr im Camp selbst, werden das aber an einem anderen Tag nachholen.

 

Tag 3, 19. Dezember 2019:

Heute sind wir weit in den Norden gefahren, nach Zaxo. Hier besuchten wir das größte Flüchtlings-Camp der Region: Das Chamishko-Camp. Hier leben 26.500 Menschen, vor allem Yezid*innen, aber auch 600 Muslime. 11.500 Kinder sind in dem Camp. Für sie gibt es fünf Schulen und zwei Kindergärten, was nicht ausreicht, um alle Kinder zu versorgen, obwohl die Schule in vier Schichten stattfindet. Im Camp gibt es auch eine Praxis für die ärztliche Versorgung, die allerdings nicht geöffnet war, als wir sie besuchen wollten. Wegen der Feiertage hatten auch die Schulen geschlossen.

Wir hatten den Eindruck, dass es im Camp sehr viele Probleme gibt, über die die Campleitung jedoch nicht mit uns reden wollte. Es waren leider auch nur ein Besuch bei einer Familie und wenige Gespräche mit Bewohner*innen vor allem über medizinische Einzelfälle, die vor Ort nicht behandelt werden können möglich, da die Campleitung insgesamt wenig erbaut über unseren Besuch schien. Klar ist, dass sich auch hier diverse Hilfsorganisationen langsam aus der Arbeit zurück ziehen, was die Situation der Bewohner*innen weiter verschlechtern wird.

Danach haben wir die Chance zu ein wenig Sightseeing genutzt und uns die Pira Delal angeschaut. Das ist eine Brücke, die aus römischer Zeit stammt und ca. 2000 Jahre alt und damit eines der ältestem Bauwerke der Region ist. Sehr beeindruckend!


Am Abend waren wir beim Leiter des Esyan-Camps, das wir gestern besucht haben, eingeladen. Dort trafen wir auf eine Delegation des Menschenrechtszentrums Cottbus, die wegen der eingangs erwähnten Kirchenweihung in der Region ist. Unter anderem ist auch der ehemaloge Landtagsabgeordnete Dieter Dombrowski Teil der Delegation. Er engagiert sich seit mehreren Jahren vor Ort und war vor allem beim Kampf um das brandenburgishe Aufnahmeprogramm für Yezid*innen ein wichtiger Partner.

Auch dieser Tag war vollgepackt mit Eindrücken. In mir verfestigt sich allerdings die Sorge. Als ich vor zwei Jahren hier war, hatte ich das Gefühl, dass es nach vorn geht. Jetzt spürt man nahezu überall Resignation und Perspektivlosigkeit. Das macht sehr traurig, zumal kaum absehbar ist, dass die Situation sich in absehbarer Zeit deutlich verbessern wird.

 

Tag 4, 20. Dezember 2019:

Heute war der höchste (andere sagen der zweithöchste) yezidische Feiertag, weshalb wir es heute etwas ruhiger angehen lassen haben. Wir begannen mit einem ausgiebigen Frühstück, bei dem wir durch unsere Mitreisenden eine umfassende Einführung in die yezidische Religion und Geschichte bekamen. Ich wusste zwar schon eine ganze Menge von den vorherigen Reisen, habe aber auch wieder Neues gelernt.

Mittags waren wir beim Mir – dem Oberhaupt der Yezid*innen – zum Essen eingeladen. Mir Hazin ist erst seit kurzem das weltliche Oberhaupt nachdem der langjähige Mir Tassim gestorben ist. Bei Mir Hazim waren richtig viele Menschen, weshalb wir nur kurz mit ihm sprechen konnten. Wir thematisierten unsere Beobachtungen aus den Flüchtlingscamps der vergangenen Tage.

Danach fuhren wir nach Sharya, um dort ein Waisenhaus zu besichtigen. Es gibt mehr als 1600 yezidische Waisenkinder in der Autonomen Region, weshalb es verschiedene Waisenhäuser nicht immer bester Qualität gibt (Ich hatte bei meiner letzten Reise eines besichtigt, das in mehrfacher Hinsicht schwierig war.), teilweise leben die Kinder jedoch auch in den Camps und/oder bei Verwandten.

Dieses Waisenhaus in Sharya wird von einem yezidischen Geschäftsmann privat finanziert und bietet ca. 30 Kindern Platz. Es gibt sieben Vierbett-Zimmer und die Aufnahme erfolgt nach Prioritäten. Oberste Prioritöt haben Kinder, die vom IS befreit wurden, es folgen Vollwaisen und Halbwisen. Als wir dort waren, wurde gerade ein völlig verstörter kleiner Junge, der fast sein ganzes Leben in Gefangenschaft war und nun befreit wurde, in das Haus gebracht. Man kann sich vorstellen wie schwierig es ist, mit Kinden zu arbeiten, die ein solches Schicksal erleiden mussten. 

Die Mädchen und Jungen zwischen 5 und 13 Jahren werden im Waisenhaus von einem multiprofessionellen Team aus ca. 25 Mitarbeiter*innen betreut, das auf uns einen sehr motivierten und liebevollen Eindruck machte. Zusätzlich werden weitere 70 bis 80 Kinder aus dem Ort unterstützt. Das Waisenhaus ist wirklich toll, die Kinder, die schreckliche Schicksale hinter sich haben, fühlen sich dort sichtlich wohl und das Konzept hat uns wirklich überzeugt. Sehr sehr tolle Einrichtung!

Am Abend waren wir bei Pir Xidir Sulayman und seiner Frau zum Abendessen eingeladen. Dort trafen wir erneut auf den Campleiter des Esyan-Camps, Diyar Shekhany, mit dem wir Absprachen für die kommenden Tage trafen. Der Abend war voll mit tollen Gesprächen über die Situation der Yezid*innen, die Flüchtlinge und die Arbeit von Hilfsorganisationen. Danke für diesen wunderbaren, spannenden Abend!

 

Tag 5, 21. Dezember 2019:

Der erste Weg führte uns heute zu einer Schule im Camp Esyan. An dieser Schule lernen Kinder von der 1. bis zur 9. Klasse. Es gibt 24 Klassenzimmer und die Kinder werden in drei Schichten á 3 Stunden beschult. Dass besondere an der Schule ist, dass die Hilfsorganisation Wadi dort seit 2018 ein Projekt Schule gegen Gewalt durchführt.

Ziel ist, dass sowohl zwischen den Schülern als auch von Lehrern gegenüber Schülern keine Gewalt ausgeübt wird. Die Lehrer sowie die Pädagogin von Wadi berichteten, dass es anfangs sehr viele Vorbehalte gegen das Projekt gab, weil sich niemand vorstellen konnte, dass die Schüler auch ohne das Druckmittel Gewalt genauso gut oder gar besser lernen. Diese Vorbehalte sind jedoch geringer geworden, da die Ergebnisse der Schüler hervorragend sind. Das Projekt wird an dieser Schule nun bald enden, da die Ziele erreicht sind, jedoch soll es an anderen Schulen ebenfalls durchgeführt werden.

Danach fuhren wir im Camp zu zwei Künstlerinnen, die ihre Erlebnisse aus der IS-Gefangenschaft durch das Malen von Bildern verarbeiten. Ich habe von Dunia, einer 18-jährigen Frau, die 3 ½ Jahre in Gefangenschaft war, ein Bild gekauft, das ich in meinem Büro im Landtag aufhängen werde. Dunia hat einen kleinen Sohn aus der Gefangenschaft, den sie jedoch abgegeben hat, weil er ein Kind des IS ist. Sie hat keinen Kontakt zu ihm und es scheint ihr damit gut zu gehen. „Die VErgangenheit soll ruhen“, sagt sie.
Durch die Bilder verdient sie etwas Geld, das sie zum Lebensunterhalt ihrer Familie, mit der sie im Camp lebt, beisteuert. Eine großartige Frau, die trotz der furchtbaren Erlebnisse einen recht lebensfreudigen Eindruck macht. Meine Mitreisenden haben ebenfalls Bilder erstanden, allerdings von der anderen Künstlerin.

Danach fuhren wir nach Sheikan ins dortige Camp. Dort besuchten wir einen Mann, der an Spastik leidet und mit den Füßen Bilder malt.

Im yezidischen Kulturzentrum in Sheikan veranstalteten unsere Mitreisenden eine Verteilaktion für Kinder, die nach dem Einmarsch der Türkei aus Syrien flüchten mussten, bei der wir natürlich mitgeholfen haben. 70 Syrische Kinder aus der Region wurden neu eingekleidet. Die Sachen hatten Elena, Ahmed und Ömer vorher auf dem Basar in Dohuk gekauft, so dass das Geld doppelt gut angelegt war: für die Kinder und für die Händler*innen des Basars.

Vielen Dank an den Yezidischen Kulturberein Barnstorf e.V. und Ezidxan International Aid e.V. Bielefeld und die Spender*innen aus Deutschland, sie diese Aktion unterstützen. Nach holprigen Start wurde die Verteilung am Ende richtig professionell. In die großen Kinderaugen zu blicken, die Jacken, Trainingsanzügen, Handschuhe, Mützen, Socken und Schlafanzüge bekamen war einfach nur wunderbar. Danke an den Campleiter von Esyan Diyar Shekhany, der die Aktion unterstützte.

Abends waren wir noch zum Essen eingeladen und sind dann völlig platt ins Bett gefallen.

 

Tag 6, 22. Dezember 2019:

Heute musste sich unsere Reisegruppe trennen, da Elena, Ömer und Amed im Esyan-Camp eine weitere Einkleide-Aktion für Kinder organisert hatten und deshalb vor Ort sein mussten. Sie haben nochmals 120 yezidische Kinder neu eingekleidet! Großartig!

Für uns war der Tag ganz vom Christentum geprägt. Am Morgen waren wir bei der Kirchweihe der St. Jakobs Kirche in Telskof. Die Kirche war bei den Kämpfen um den Ort stark beschädigt worden. Als ich im April 2017 in Kurdistan war, habe ich einen Spaziergang durch Telskof gemacht und unter anderem diese Kirche in zerstörtem Zustand fotografiert (Die Fotos sind bei Flickr veröffentlicht, in dem verlinkten Album sind es die Fotos am Ende.). Das Menschenrechtszentrum Cottbus hat diese Kirche mit Spendengeldern saniert und die Mitglieder des Vereins haben auch selbst in Workcamps mit angepackt. Die Sanierung ist wirklich großartig gelungen. Es ist eine wunderschöne Kirche geworden, der man nicht mehr ansieht, dass sie einmal so stark zerstört war.

Die Kirchweihe durch den Bischof von Alqosh war ein wirklich bewegendes Ereignis. Die Kirche war rappelvoll und der Gottesdienst sehr ansprechend gestaltet. Ich bin froh, dies miterlebt zu haben!

Nach der Kirchweihe haben wir einen Spaziergang durch Telskof gemacht. Im oben verlinkten Flickr-Album sind Fotos, wie der Ort vor 2 ½ Jahren aussah. Es fällt auf, dass viele Menschen zurück gekehrt sind (eine Bewohnerin, mit der wir ins Gespräch gekommen sind, sagte, es Seiten mittlerweile über 4000 Familien zurückgekehrt). Viele Gebäude sind noch zerstört, man spürt aber überall, dass das Leben und den Ort zurückgekehrt ist. Die Weihe der Kirche als zweiter Kirche im Ort ist sicher ein weiterer wichtiger Baustein für die Normalisierung des Lebens in Telskof.

Danach fuhren wir nach Alqosh. Das ist ein christlich geprägter Ort, der vor allem durch die beiden Klöster bekannt ist. Wir würden von zwei Christen durch den Ort geführt. Die Führung führte uns unter anderem zu einem Museumsdorf, das zeigen soll, wie das Leben vor 200 Jahren in der Region war, zur alten Synagoge und zum Museum der Stadt. Besonders gefreut hat mich, dass die alte Synagoge, die für das Judentum bedeutsam ist, weil sich in ihr das Grab des Kleinen Propheten Nachum befindet, aktuell restauriert wird. Als wir vor zweieinhalb Jahren dort waren, hatten wir die Synagoge, die damals in einem sehr schlechten Zustand war, besichtigt, was dieses Mal wegen der Bauarbeiten nicht möglich war. Bei Flickr Flickr habe ich damals die Fotos veröffentlicht.

Unsere beiden Führer berichteten, dass in den vergangenen Jahren sehr viele Menschen aus der Region weggegangen sind. Die christliche Gemeinde wird immer kleiner und sie sagten, dass faktisch alle Christen aus der Region weg wollen, wenn es möglich ist, da sie hier nicht sicher leben können. Gleichzeitig scheint es den Christen in der Region besser zu gehen als den Yeziden, was mit dem großen Engagement der christlichen Kirchen bei der Unterstützung der Christen in der Region zusammen hängt.

Danach besichtigten wir noch das Raban Hormizd Kloster im Berg. Das Kloster ist im 7. Jahrhundert gegründet und ein wirklich unglaubliches Zeugnis der Jahrhunderte währenden christlichen Kultur in der Region. Auch hier hatte ich bereits zwei Mal intensiv fotografiert, bei Flickr sind auch diese Bilder veröffentlicht. Dieses Mal führte uns ein sehr freundlicher Peshmerga durch das Kloster. Danke dafür! Es ist immer wieder ein großartiges Erlebnis hier zu sein!

Abends waren wir zum Essen eingeladen und sind dann zu unserer Unterkunft. Müde und voll mit Eindrücken des Tages.

 

Tag 7, 23. Dezember:

Heute Morgen wollten wir unbedingt auf einen echten Basar. In Dohuk wurden wir fündig und haben allerlei Mitbringsel (Gewürze, Tücher usw.) gekauft.

Ab Mittag waren wir dann in Lalish, dem Heiligtum der Yeziden. Ein unfassbar schöner und spannender Ort. Er gilt als das Zentrum der Schöpfung und ist Mittelpunkt des religiösen Lebens der Yeziden. In ihm befindet sich das Grab von Sheik Adi, des wichtigsten Heiligen der Yeziden. Außerdem gibt es hier zwei heilige Quellen. Lalisch liegt in einem Tal ca. 60 km nördlich von Mossul.

Zuerst hatten wir ein Gespräch mit der Frau des Mir (der Mir ist das weltliche Oberhaupt der Yeziden) und Teilen des Heiligen Rates zur aktuellen Situation der Yezid*innen und unseren Beobachtungen in den Flüchtlings-Camps. Außerdem haben wir mit einer Familie gesprochen, bei denen es Probleme mit dem Aufenthaltsrecht im Deutschland gibt (Das sind übrigens gleich zwei Fälle, die beide absolut unglaublich sind. Da gibts was zu tun…).

Danach haben wir uns das Heiligtum, das man übrigens nicht mit Schuhen betreten darf (ja, es war kalt!), angeschaut. Ich war zwar schon zwei mal kurz hier, dieses Mal war aber viel Zeit, da wir in Lalish übernachten durften (was eine große Ehre ist). Und so konnten wir alles intensiv ansehen und hatten abends die Chance, den Stellvertreter des Hüters des Heiligtums vor allem zur Religion und zum Heiligtum zu befragen. Mein persönlicher Höhepunkt der Reise.

Tag 8, 24. Dezember:

Nach einer erfolsamen Nacht in Lalish frühstückten wir ausgiebig und machten uns dann auf dem Weg zum Flughafen. Noch einmal die zum Teil katastrophalen Straßenverhältnisse mit Schwellen mitten auf der Landstraße, die so hoch sind, dass man einfach aufsetzen muss, und die zum Teil halsbrecherische Fahrweise der anderen Verkehrsteilnehmer erleben… Die Rückreise verlief völlig problemlos, auch die Kontrollen hielten sich insgesamt in Grenzen. Und so kamen wir am späten Nachmittag in Düsseldorf an und fuhhren die Nacht durch nach Hause.

 

Wie es immer nach solchen Reisen ist, braucht man etwas für die Verarbeitung der Eindrücke. Ein paar Schlussfolgerungen und Erkenntnisse gibt es aber für mich schon jetzt. Was mir wirklich aufgefallen ist: Es herrscht vor allem in den Camps eine große Resignation und Hoffnungslosigkeit, weil es faktisch keine Perspektive gibt. Zurückkehren ist meist keine Option und in den Camps gibt es weder Arbeit noch vernünftige menschenwürdige Lebensbedingungen. Wir wollten eigentlich ind en Shingal reisen, haben wegen der Sicherheitslage davon aber abgesehen. Dort gibt es wieder Kämpfe und schon deshalb können die Menschen nicht zurückkehren. Und deshalb ist die wichtigste Botschaft: Diese Region braucht endlich Frieden! Nur Frieden wird sicherstellen, dass die Menschen und vor allem die Minderheiten im Irak und den angrenzenden Ländern sicher leben können.

Gleichzeitig ist es wichtig, weiter für humanitäre Aufnahmeprogramme in Deutschland, vor allem für die vom IS verfolgten und versklavten Frauen und Kinder zu kämpfen. Es sind noch immer 3000 Menschen in den Fängen des IS und immer wieder kommen Frauen und Kinder frei. Nach mehr als fünf Jahren Versklavung, oft mehrmaligem Verkauf und permanenten Vergewaltigungen brauchen diese Frauen und Kinder unsere Hilfe und vor allem psychologische Betreuung und eine sichere Lebensperspektive. Und in dem Zusammenhang: Dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge aktuell nahezu 100% der Asylanträge der Yezid*innen ablehnt, ist ein Skandal, der immer wieder auf die Tagesordnung muss.

Und nicht zuletzt ist ein Alarmsignal, dass sich Hilfsorganisationen teilweise aus der Region zurückziehen oder Projekte auslaufen. Konflikte und einschneidende Ereignisse wieder Genozid an den Yeziden geraten nah einiger Zeit aus dem Blick der Weltgemeinschaft. Und dann geht das Geld aus. Deshalb braucht es weiterhin Öffentlichkeit für die Situation der Minderheiten in der Region. Daran will ich mich gern beteiligen, es braucht aber auch seitens der Yeziden Anstrengungen und es wäre gut, wenn sie in Deutschland mit einer Stimme sprechen würden.