Reden zum Antrag „Landesaufnahmeprogramm Syrien fortführen“
Wir haben den Antrag eingebracht, das Landesaufnahmeprogramm Syrien fortzuführen. Damit konnten bisher geflüchtete Syrer enge Familienangehörige nachholen, sofern sie selbst für deren Unterkunft und Verpflegung sorgen konnten. Der Antrag wurde von SPD, CDU und AfD abgelehnt. Die Grünen hatten aus Protest gegen den Innenminister den Saal verlassen.
Meine Rede am Anfang der Debatte ist hier als Video verfügbar. Und meine Rede am Ende der Debatte gibt es hier.
Außerdem dokumentiere ich hier die beiden Reden als Text zitiert nach der vorläufigen stenografischen Niederschrift:
„Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Täglich sehen wir die Bilder von Menschen auf der Flucht vor Krieg. Unter den Geflüchteten sind viele Kinder, schwangere Frauen, ältere Menschen, Menschen mit Behinderungen – und viel zu oft sehen wir die Bilder derjenigen, die diese Flucht nicht überlebt haben. Wir wissen, dass es Menschen gibt, die nicht flüchten können, weil sie die Strapazen nicht ertragen würden oder vor dem gefährlichen Weg über das Mittelmeer Angst haben. Vor allem die Schwächsten – die Kinder, die Schwangeren, die Alten, die Kriegsversehrten – sind es, die oft in den Kriegsgebieten zurückbleiben. Es fehlen weitgehend sichere und legale Fluchtwege.
Für Menschen aus Syrien gibt es einen solchen sicheren und legalen Fluchtweg, und das ist das Brandenburger Landesaufnahmeprogramm für syrische Geflüchtete. Es ermöglicht denjenigen, die nahe Verwandte in Deutschland haben, die Einreise mit einem vorher erteilten Visum. Voraussetzung ist, dass es jemanden gibt, der für den Lebensunterhalt der einreisenden Personen eine Verpflichtungsermächtigung abgibt. 1 290 Menschen hat das Land Brandenburg seit Start des Aufnahmeprogramms für syrische Flüchtlinge im Jahr 2013 aufgenommen – also ca. 100 Personen pro Jahr. 1 290 Menschen konnten aus dem Kriegsgebiet gerettet werden, ohne dass sie einen gefährlichen Fluchtweg nehmen mussten.
Meine Damen und Herren, bisher gab es hier im Landtag in allen Debatten ‑ in der vergangenen wie auch in dieser Wahlperiode ‑ einen breiten Konsens aller demokratischen Fraktionen, dass dieses Programm unbedingt zu erhalten ist. Und auch im Koalitionsvertrag haben SPD, CDU und Grüne vereinbart, sie würden „das Landesaufnahmeprogramm für syrische Flüchtlinge in der Legislaturperiode weiterführen“. Doch dann hat der Innenminister entschieden, dass er am rechten Rand fischen und die Bekämpfung der Migration in den Mittelpunkt seines politischen Handelns stellen will und dass natürlich auch dieses wichtige humanitäre Programm einen Angriffspunkt bietet.
Wir haben diesen Antrag eingebracht, um Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD und den Grünen, die Gelegenheit zu geben, auf den Koalitionsvertrag zu bestehen, auch wenn der Innenminister ihn schon seit Monaten nicht mehr als Richtschnur seines Handelns versteht. Zeigen Sie wenigstens in diesem Punkt Haltung! Geben Sie den Menschen eine Chance, sich hier zusammen mit ihren Familienangehörigen ein eigenständiges Leben aufzubauen. Herr Bretz, ich lasse keine Zwischenfrage zu und ich kann Ihnen sagen, warum: weil Sie es sind, die dem Innenminister seit Monaten den Rücken stärken, obwohl er an dieser Stelle den Koalitionsvertrag bricht. – Aber vielleicht wird die CDU ja unserem Antrag zustimmen. Ich bin gespannt.
Meine Damen und Herren, mit der Zustimmung zu unserem Antrag stünden Sie auch an der Seite der Zivilgesellschaft. Vermutlich haben auch Sie in den vergangenen Tagen eine Vielzahl von Mails von Flüchtlingsinitiativen ‑ Vereinen, Verbänden und Einzelpersonen ‑ erhalten, die sich für den Erhalt dieses Landesaufnahmeprogramms einsetzen, weil sie wissen, dass die Lage in Syrien nach wie vor katastrophal ist. Das Land liegt in Trümmern: Die permanenten Angriffe der syrischen und türkischen Armee auf die Rojava-Provinzen im Norden des Landes sorgen weiterhin für Zerstörung und viele Tote unter der syrischen Bevölkerung. Erst im Oktober zerstörte der NATO‑Partner Türkei fast die gesamte Infrastruktur der kurdischen Selbstverwaltung in Nordostsyrien. Dort gab es allein zwischen dem 5. und dem 9. Oktober insgesamt 580 Angriffe, und es gibt seitdem weder Strom noch Wasser noch Gas.
Es gibt aber noch einen Grund, warum die Zivilgesellschaft ebenso wie die Integrationsbeauftragte des Landes Doris Lemmermeier für dieses Programm kämpfen: weil sie wissen, wie wichtig es ist, Geflüchteten die Möglichkeit zu geben, mit ihren Angehörigen in Frieden leben zu können – und das können sie nun einmal nur hier. Es ist deshalb auch ein Integrationsanreiz, die Möglichkeit zu haben, über dieses Landesaufnahmeprogramm Familienangehörige nachzuholen.
Meine Damen und Herren, wir wissen sehr gut, dass die Anforderungen des Bundesinnenministeriums, zum Zeitpunkt der Antragstellung zusätzlich eine aktuelle Notlage oder Bedrängnis nachzuweisen, die Umsetzung des Programms erschwert. Das kann aus unserer Sicht aber nicht die Begründung dafür sein, das Programm zu stoppen; es gilt nämlich schon länger. Die geringen Zahlen von durchschnittlich ca. zehn Fällen pro Ausländerbehörde und Jahr können auch keine Begründung dafür sein, das Programm zu stoppen. Davon bricht keine Ausländerbehörde zusammen; das wäre ja schlimm.
Deshalb sei noch einmal erwähnt, dass es sich um ein humanitäres Programm handelt, das die Kommunen gar nichts und das Land sehr wenig kostet – das Land übernimmt lediglich die Gesundheitskosten. Stattdessen ist es an ein hohes Engagement der Familienangehörigen hier in Deutschland gekoppelt: Nur wer gut integriert ist und seinen Lebensunterhalt selbst verdient, hat die Möglichkeit, seine Verwandten zu sich zu holen. Das ist auch gleichzeitig der Garant dafür, dass auch die Integration der nachziehenden Familienangehörigen schnell vonstattengehen kann.
Meine Damen und Herren, gerade jetzt, wo die flüchtlingspolitischen Debatten von Ressentiments, Härte und Abschottung geprägt sind, wäre es ein wichtiges Zeichen der Humanität, wenn Sie dieses Programm verlängern würden. Deshalb, meine Damen und Herren von SPD und Grünen: Geben Sie sich einen Ruck und stimmen Sie unserem Antrag zu! – Herzlichen Dank.“
Und hier die Rede zum Ende der Debatte:
„Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich finde, der Innenminister hat eben sehr deutlich gemacht, was der Unterschied zwischen Haltung und Humanität und ihm ist. Und, Herr Innenminister, es ist zynisch, einfach nur zynisch, wenn Sie davon sprechen, dass Syrer, die hier so viel verdienen, dass sie ihre Familienangehörigen nachholen könnten, die Leute ja auch vor Ort unterstützen könnten.
Ich habe vorhin davon gesprochen, dass der NATO-Partner Türkei regelmäßig die kurdischen Gebiete in Syrien bombardiert. Und, sorry, da hilft keine finanzielle Unterstützung, denn finanzielle Unterstützung schützt nicht vor Bomben und Krieg.
Sie haben eben auch sehr deutlich gemacht, worum es geht. Es geht um eine Privilegierung von Nationalitäten, die Sie abschaffen wollen. Und wenn man Ihrer Rede genau zugehört hat, kann man nur sagen, Ihre Botschaft war: Wir schaffen das nicht. – Ich habe in diesem Landtag schon einmal gesagt, dass ich mir sehr die Haltung unserer ehemaligen Bundeskanzlerin, Frau Angela Merkel, zurückwünsche, die da sagte: Wir schaffen das! – Sie hat damit auch Hoffnung und Motivation gegeben.
Meine Damen und Herren, ich habe Hochachtung vor der Haltung, die die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hier gezeigt hat, und würde mir wünschen, eine solche Haltung wäre auch bei der SPD zu finden. – Herr Adler, Sie sind dem Innenminister deutlich auf den Leim gegangen – vor allem mit Ihrer Begründung, wir würden hier mehr fordern, als es bisher gibt. Ich kann Ihnen nur sagen: Die Regelung, um die es geht, dass nämlich Personen, die seit einem Jahr in Berlin oder Brandenburg wohnen, anspruchsberechtigt sein sollen, gab es schon zu dem Zeitpunkt, als Sie Ihren Koalitionsvertrag verhandelt haben. Die hat der Innenminister danach einmal dahin gehend verändert, dass das nur noch für Personen gilt, die in Brandenburg leben. Insofern wollen wir auch an dieser Stelle Ihren Koalitionsvertrag wiederherstellen, aber möglicherweise hat Ihr Referent das nicht mitbekommen und es Ihnen deshalb nicht aufgeschrieben.
Meine Damen und Herren, zusammenfassend kann man sagen: Sie wollen nicht. Wir reden über ca. 100 Personen pro Jahr. Das sind also nicht einmal zehn Personen pro Monat, auf die Ausländerbehörden heruntergerechnet ist es nicht einmal eine Person in zwei Monaten. Und Sie wollen mir ernsthaft erklären, dass das eine Ausländerbehörde überfordert?
Meine Damen und Herren, wenn Sie diesen Antrag ablehnen, senden Sie das deutliche Signal an die syrischen Menschen in Brandenburg: Wir wollen nicht, dass ihr eure Familienangehörigen nachholen und mit ihnen hier in Frieden leben könnt. – Und Sie senden das deutliche Signal an die Zivilgesellschaft – und Sie loben sie regelmäßig für ihren Protest und ihr Engagement -, dass sie nicht mehr Ihre Partner sind. – Herzlichen Dank.“