Das Sterben an der Grenze von Polen und Belarus beenden!
„Am Anfang dachten wir, wir helfen den Menschen einfach nur, inzwischen wissen wir, wir retten Leben.“ Die Frau die diesen Satz sagt, ist um die 40 Jahre alt und lebt im Grenzgebiet von Polen zu Belarus. Sie hat eine Familie, einen Hof mit Hühnern, erzählt sie. Und dann sagt sie: „Ich habe jeden Tag das Risiko, verhaftet zu werden, wenn ich den Flüchtlingen im Wald helfe. Aber was ist dieses Risiko gegen das Risiko zu sterben?“ Im Laufe des Abends erzählt sie, wie sie seit Monaten jeden Tag alles dafür tut, dass den Geflüchteten, die im Bialowieza-Wald festsitzen, geholfen wird. Sie will nicht, dass wir ihren Namen nennen oder etwas veröffentlichen, was sie identifizierbar macht, weil die Grenzpolizei nicht auf sie und ihre Aktivitäten aufmerksam werden soll.
Bei unserer Delegationsreise von Abgeordneten aus dem Europaparlament, dem Deutschen Bundestag und den Landtagen Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg an die Grenze von Polen und Belarus treffen wir einige Menschen wie sie. Menschen, die im Grenzgebiet wohnen und dafür kämpfen, dass Menschen im Bialowieza-Wald nicht sterben müssen.
Der Wald ist der letzte Urwald Europas. Er umfasst 1500 Quadratkilometer und ist damit do groß wie der gesamte Landkreis Barnim. Er ist UNESCO-Welterbe und bietet, dank der geringen Eingriffe durch den Menschen, einzigartige Lebensbedingungen für viele Tierarten. Bis 2021 war der Wald vor allem wegen seiner einzigartigen Natur und den Auseinandersetzungen um den durch die polnische Regierung vorangetriebenen Holzeinschlag bekannt. Doch seit dem Herbst vergangenen Jahres bestimmen andere Schlagzeilen die Wahrnehmung des Bialowieza-Waldes: Er ist zur Falle für Geflüchtete geworden.
Nachdem Belarus die Visumsbestimmungen änderte, eröffnete sich eine neue Fluchtroute nach Europa. Und so machten sich tausende Geflüchtete auf den Weg nach Belarus, um durch den Wald nach Polen, also in die Europäische Union zu gelangen. Die polnische Regierung reagiert bis heute mit Härte: Geflüchtete, die auf polnischem Gebiet aufgegriffen werden, werden nach Belarus zurückgetrieben. Zur Not mit Gewalt. Das wird Pushback genannt und das ist eine europarechtlich illegale Praxis. Und Belarus treibt die Flüchtlinge wieder nach Polen zurück. Auch mit Gewalt. Die Menschen sitzen also in der Falle. Sie können nicht in die eine und nicht in die andere Richtung und sind gezwungen in diesem Wald auszuharren und irgendwie zu überleben. Und das ist gar nicht so leicht bei Minusgraden, ohne Nahrung und ohne Unterschlupf. Wenn die Kleidung nass wird, gibt es keine Chance, sie zu trocknen. Und so berichten die Helferinnen und Helfer, dass sie oftmals Menschen finden, denen die Kleidung am Körper festgefroren ist. Wie viele Menschen bereits gestorben sind, weiß niemand. 21 sind es nach offiziellen Angaben. Die Wahrheit dürfte weit höher liegen.
Wie viele Menschen aktuell in dieser Falle sind, weiß niemand genau. Schätzungen sagen, dass sich im Waldgebiet ca. 1400 Menschen, 800 auf belarussischer und 600 auf polnischer Seite befinden. Sie alle sind täglich vom Tod bedroht.
Die Menschen, die vor Ort helfen, sind ihre einzige Hoffnung. Sie bringen Kleidung, besorgen einen Unterschlupf in einem Safe House und versuchen die Menschen aus dem Waldgebiet heraus zu bringen. Dabei sind sie selbst einem starken Kriminalisierungsdruck ausgesetzt. Und doch machen sie weiter, denn sie wissen: Sie tun das, was eigentlich die Europäische Union und Polen tun müssten: Sie retten Menschenleben.
Was aber kann getan werden, um das Sterben im Bialowieza-Wald zu beenden? Als LINKE fordern wir die sofortige Evakuierung der Geflüchteten aus dieser Region. Sowohl Belarus als auch Polen verüben hier täglich massive Menschenrechtsverletzungen. Es braucht den Druck auf die polnische Regierung, die illegalen Pushbacks sofort zu beenden und den Geflüchteten ein faires Asylverfahren zu garantieren. Und Polen muss sofort die pauschale Inhaftierung von Menschen, die Asyl beantragen beenden. Dublin-Abschiebungen nach Polen sind sofort zu beenden, denn eines ist bei der Reise klar geworden: Polen ist nicht sicher für Geflüchtete.
Die Abgeordneten der Delegation haben in Auswertung der Reise ein gemeinsames Forderungspapier veröffentlich. Dieses ist hier zu finden: